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Grundlinien der Philosophie des Rechts
Vorrede
Die unmittelbare Veranlassung zur Herausgabe dieses Grundrisses ist das Bedürfnis, meinen Zuhörern einen Leitfaden zu den Vorlesungen in die Hände zu geben, welche ich meinem Amte gemäß über die Philosophie des Rechts halte. Dieses Lehrbuch ist eine weitere, insbesondere mehr systematische Ausführung derselben Grundbegriffe, welche über diesen Teil der Philosophie in der von mir sonst für meine Vorlesungen bestimmten Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (Heidelberg 1817)1) bereits enthalten sind.
Daß dieser Grundriß aber im Druck erscheinen sollte, hiermit auch vor das größere Publikum kommt, wurde die Veranlassung, die Anmerkungen, die zunächst in kurzer Erwähnung die verwandten oder abweichenden Vorstellungen, weiteren Folgen und dergleichen andeuten sollten, was in den Vorlesungen seine gehörige Erläuterung erhalten würde, manchmal schon hier weiter auszuführen, um den abstrakteren Inhalt des Textes zuweilen zu verdeutlichen und auf naheliegende, in dermaliger Zeit gang und gäbe Vorstellungen eine ausgedehntere Rücksicht zu nehmen. So ist eine Anzahl weitläufigerer Anmerkungen entstanden, als der Zweck und Stil eines Kompendiums sonst mit sich bringt. Ein eigentliches Kompendium jedoch hat den für fertig angesehenen Umkreis einer Wissenschaft zum Gegenstande, und das ihm Eigentümliche ist, vielleicht einen kleinen Zusatz hier und da ausgenommen, vornehmlich die Zusammenstellung und Ordnung der wesentlichen Momente eines Inhalts, der längst ebenso zugegeben und bekannt ist, als jene Form ihre längst ausgemachten Regeln und Manieren hat. Von einem philosophischen Grundriß erwartet man diesen Zuschnitt schon etwa darum nicht, weil man sich vorstellt, das, was die Philosophie vor sich bringe, sei ein so übernächtiges Werk als das Gewebe der Penelope, das jeden Tag von vorne angefangen werde.
Allerdings weicht dieser Grundriß zunächst von einem gewöhnlichen Kompendium durch die Methode ab, die darin das Leitende ausmacht. Daß aber die philosophische Art des Fortschreitens von einer Materie zu einer andern und des wissenschaftlichen Beweisens, diese spekulative Erkenntnisweise überhaupt, wesentlich sich von anderer Erkenntnisweise unterscheidet, wird hier vorausgesetzt. Die Einsicht in die Notwendigkeit einer solchen Verschiedenheit kann es allein sein, was die Philosophie aus dem schmählichen Verfall, in welchen sie in unseren Zeiten versunken ist, herauszureißen vermögen wird. Man hat wohl die Unzulänglichkeit der Formen und Regeln der vormaligen Logik, des Definierens, Einteilens und Schließens, welche die Regeln der Verstandeserkenntnis enthalten, für die spekulative Wissenschaft erkannt, oder mehr nur gefühlt als erkannt, und dann diese Regeln nur als Fesseln weggeworfen, um aus dem Herzen, der Phantasie, der zufälligen Anschauung willkürlich zu sprechen; und da denn doch auch Reflexion und Gedankenverhältnisse eintreten müssen, verfährt man bewußtlos in der verachteten Methode des ganz gewöhnlichen Folgerns und Räsonnements. Die Natur des spekulativen Wissens habe ich in meiner Wissenschaft der Logik ausführlich entwickelt; in diesem Grundriß ist darum nur hier und da eine Erläuterung über Fortgang und Methode hinzugefügt worden. Bei der konkreten und in sich so mannigfaltigen Beschaffenheit des Gegenstandes ist es zwar vernachlässigt worden, in allen und jeden Einzelheiten die logische Fortleitung nachzuweisen und herauszuheben. Teils konnte dies, bei vorausgesetzter Bekanntschaft mit der wissenschaftlichen Methode, für überflüssig gehalten werden, teils wird aber es von selbst auffallen, daß das Ganze wie die Ausbildung seiner Glieder auf dem logischen Geiste beruht. Von dieser Seite möchte ich auch vornehmlich, daß diese Abhandlung gefaßt und beurteilt würde. Denn das, um was es in derselben zu tun ist, ist die Wissenschaft, und in der Wissenschaft ist der Inhalt wesentlich an die Form gebunden.
Man kann zwar von denen, die es am gründlichsten zu nehmen scheinen, hören, die Form sei etwas Äußeres und für die Sache Gleichgültiges, es komme nur auf diese an; man kann weiter das Geschäft des Schriftstellers, insbesondere des philosophischen, darein setzen, Wahrheiten zu entdecken, Wahrheiten zu sagen, Wahrheiten und richtige Begriffe zu verbreiten. Wenn man nun betrachtet, wie solches Geschäft wirklich betrieben zu werden pflegt, so sieht man einesteils denselben alten Kohl immer wieder aufkochen und nach allen Seiten hin ausgeben - ein Geschäft, das wohl auch sein Verdienst um die Bildung und Erweckung der Gemüter haben wird, wenn es gleich mehr als ein vielgeschäftiger Überfluß angesehen werden könnte, - "denn sie haben Mosen und die Propheten, laß sie dieselbigen hören". Vornehmlich hat man vielfältige Gelegenheit, sich über den Ton und die Prätention, die sich dabei zu erkennen gibt, zu verwundern, nämlich als ob es der Welt nur noch an diesen eifrigen Verbreitern von Wahrheiten gefehlt hätte und als ob der aufgewärmte Kohl neue und unerhörte Wahrheiten brächte und vornehmlich immer "in jetziger Zeit" hauptsächlich zu beherzigen wäre. Andernteils aber sieht man, was von solchen Wahrheiten von der einen Seite her ausgegeben wird, durch eben dergleichen von andern Seiten her ausgespendete Wahrheiten verdrängt und weggeschwemmt werden. Was nun in diesem Gedränge von Wahrheiten weder Altes noch Neues, sondern Bleibendes sei, wie soll dieses aus diesen formlos hin- und hergehenden Betrachtungen sich herausheben - wie anders sich unterscheiden und bewähren als durch die Wissenschaft?
Ohnehin über Recht, Sittlichkeit, Staat ist die Wahrheit ebensosehr alt, als in den öffentlichen Gesetzen, der öffentlichen Moral und Religion offen dargelegt und bekannt. Was bedarf diese Wahrheit weiter, insofern der denkende Geist sie in dieser nächsten Weise zu besitzen nicht zufrieden ist, als sie auch zu begreifen und dem schon an sich selbst vernünftigen Inhalt auch die vernünftige Form zu gewinnen, damit er für das freie Denken gerechtfertigt erscheine, welches nicht bei dem Gegebenen, es sei durch die äußere positive Autorität des Staats oder der Übereinstimmung der Menschen, oder durch die Autorität des inneren Gefühls und Herzens und das unmittelbar beistimmende Zeugnis des Geistes unterstützt, stehenbleibt, sondern von sich ausgeht und eben damit fordert, sich im Innersten mit der Wahrheit geeint zu wissen?
Das einfache Verhalten des unbefangenen Gemütes ist, sich mit zutrauensvoller Überzeugung an die öffentlich bekannte Wahrheit zu halten und auf diese feste Grundlage seine Handlungsweise und feste Stellung im Leben zu bauen. Gegen dieses einfache Verhalten tut sich etwa schon die vermeinte Schwierigkeit auf, wie aus den unendlich verschiedenen Meinungen sich das, was darin das allgemein Anerkannte und Gültige sei, unterscheiden und herausfinden lasse; und man kann diese Verlegenheit leicht für einen rechten und wahrhaften Ernst um die Sache nehmen. In der Tat sind aber die, welche sich auf diese Verlegenheit etwas zugute tun, in dem Falle, den Wald vor den Bäumen nicht zu sehen, und es ist nur die Verlegenheit und Schwierigkeit vorhanden, welche sie selbst veranstalten; ja diese ihre Verlegenheit und Schwierigkeit ist vielmehr der Beweis, daß sie etwas anderes als das allgemein Anerkannte und Geltende, als die Substanz des Rechten und Sittlichen wollen. Denn ist es darum wahrhaft, und nicht um die Eitelkeit und Besonderheit des Meinens und Seins zu tun, so hielten sie sich an das substantielle Rechte, nämlich an die Gebote der Sittlichkeit und des Staats, und richteten ihr Leben danach ein. - Die weitere Schwierigkeit aber kommt von der Seite, daß der Mensch denkt und im Denken seine Freiheit und den Grund der Sittlichkeit sucht. Dieses Recht, so hoch, so göttlich es ist, wird aber in Unrecht verkehrt, wenn nur dies für Denken gilt und das Denken nur dann sich frei weiß, insofern es vom Allgemein-Anerkannten und Gültigen abweiche und sich etwas Besonderes zu erfinden gewußt habe.
Am festesten konnte in unserer Zeit die Vorstellung, als ob die Freiheit des Denkens und des Geistes überhaupt sich nur durch die Abweichung, ja Feindschaft gegen das öffentlich Anerkannte beweise, in Beziehung auf den Staat eingewurzelt [sein] und hiernach absonderlich eine Philosophie über den Staat wesentlich die Aufgabe zu haben scheinen, auch eine Theorie und eben eine neue und besondere zu erfinden und zu geben. Wenn man diese Vorstellung und das ihr gemäße Treiben sieht, so sollte man meinen, als ob noch kein Staat und Staatsverfassung in der Welt gewesen noch gegenwärtig vorhanden sei, sondern als ob man jetzt - und dies Jetzt dauert immer fort - ganz von vorne anzufangen und die sittliche Welt nur auf ein solches jetziges Ausdenken und Ergründen und Begründen gewartet habe. Von der Natur gibt man zu, daß die Philosophie sie zu erkennen habe, wie sie ist, daß der Stein der Weisen irgendwo, aber in der Natur selbst verborgen liege, daß sie in sich vernünftig sei und das Wissen diese in ihr gegenwärtige, wirkliche Vernunft, nicht die auf der Oberfläche sich zeigenden Gestaltungen und Zufälligkeiten, sondern ihre ewige Harmonie, aber als ihr immanentes Gesetz und Wesen zu erforschen und begreifend zu fassen habe. Die sittliche Welt dagegen, der Staat, sie, die Vernunft, wie sie sich im Elemente des Selbstbewußtseins verwirklicht, soll nicht des Glücks genießen, daß es die Vernunft ist, welche in der Tat in diesem Elemente sich zur Kraft und Gewalt gebracht habe, darin behaupte und inwohne. 2) Das geistige Universum soll vielmehr dem Zufall und der Willkür preisgegeben, es soll gottverlassen sein, so daß nach diesem Atheismus der sittlichen Welt das Wahre sich außer ihr befinde und zugleich, weil doch auch Vernunft darin sein soll, das Wahre nur ein Problema sei. Hierin aber liege die Berechtigung, ja die Verpflichtung für jedes Denken, auch seinen Anlauf zu nehmen, doch nicht um den Stein der Weisen zu suchen, denn durch das Philosophieren unserer Zeit ist das Suchen erspart und jeder gewiß, so wie er steht und geht, diesen Stein in seiner Gewalt zu haben. Nun geschieht es freilich, daß diejenigen, welche in dieser Wirklichkeit des Staats leben und ihr Wissen und Wollen darin befriedigt finden - und deren sind viele, ja mehr als es meinen und wissen, denn im Grunde sind es alle -, daß also wenigstens diejenigen, welche mit Bewußtsein ihre Befriedigung im Staate haben, jener Anläufe und Versicherungen 7/16 lachen und sie für ein bald lustigeres oder ernsteres, ergötzliches oder gefährliches, leeres Spiel nehmen. Jenes unruhige Treiben der Reflexion und Eitelkeit, sowie die Aufnahme und Begegnung, welche sie erfährt, wäre nun eine Sache für sich, die sich auf ihre Weise in sich entwickelt; aber es ist die Philosophie überhaupt, welche sich durch jenes Getreibe in mannigfaltige Verachtung und Mißkredit gesetzt hat. Die schlimmste der Verachtungen ist diese, daß wie gesagt jeder, wie er so steht und geht, über die Philosophie überhaupt Bescheid zu wissen und abzusprechen imstande zu sein überzeugt ist. Keiner anderen Kunst und Wissenschaft wird diese letzte Verachtung bezeigt, zu meinen, daß man sie geradezu innehabe.
In der Tat, was wir von der Philosophie der neueren Zeit mit der größten Prätention über den Staat haben ausgehen sehen, berechtigte wohl jeden, der Lust hatte mitzusprechen, zu dieser Überzeugung, eben solches von sich aus geradezu machen zu können und damit sich den Beweis, im Besitz der Philosophie zu sein, zu geben. Ohnehin hat die sich so nennende Philosophie es ausdrücklich ausgesprochen, daß das Wahre selbst nicht erkannt werden könne, sondern daß dies das Wahre sei, was jeder über die sittlichen Gegenstände, vornehmlich über Staat, Regierung und Verfassung, sich aus seinem Herzen, Gemüt und Begeisterung aufsteigen lasse. Was ist darüber nicht alles der Jugend insbesondere zum Munde geredet worden? Die Jugend hat es sich denn auch wohl gesagt sein lassen. Den Seinen gibt Er's schlafend, ist auf die Wissenschaft angewendet worden, und damit hat jeder Schlafende sich zu den Seinen gezählt; was er so im Schlafe der Begriffe bekommen, war denn freilich auch Ware danach. - Ein Heerführer dieser Seichtigkeit, die sich Philosophieren nennt, Herr Fries3) , hat sich nicht entblödet, bei einer feierlichen, berüchtigt gewordenen öffentlichen Gelegenheit in einer Rede über den Gegenstand von Staat und Staatsverfassung die Vorstellung zu geben: 'in dem Volke, in welchem echter Gemeingeist herrsche, würde jedem Geschäft der öffentlichen Angelegenheiten das Leben von unten aus dem Volke kommen, würden jedem einzelnen Werke der Volksbildung und des volkstümlichen Dienstes sich lebendige Gesellschaften weihen, durch die heilige Kette der Freundschaft unverbrüchlich vereinigt', und dergleichen4) . - Dies ist der Hauptsinn der Seichtigkeit, die Wissenschaft, statt auf die Entwicklung des Gedankens und Begriffs, vielmehr auf die unmittelbare Wahrnehmung und die zufällige Einbildung zu stellen, ebenso die reiche Gliederung des Sittlichen in sich, welche der Staat ist, die Architektonik seiner Vernünftigkeit, die durch die bestimmte Unterscheidung der Kreise des öffentlichen Lebens und ihrer Berechtigungen und durch die Strenge des Maßes, in dem sich jeder Pfeiler, Bogen und Strebung hält, die Stärke des Ganzen aus der Harmonie seiner Glieder hervorgehen macht, - diesen gebildeten Bau in den Brei des "Herzens, der Freundschaft und Begeisterung" zusammenfließen zu lassen. Wie nach Epikur die Welt überhaupt, so ist freilich nicht, aber so sollte die sittliche Welt nach solcher Vorstellung der subjektiven Zufälligkeit des Meinens und der Willkür übergeben werden. Mit dem einfachen Hausmittel, auf das Gefühl das zu stellen, was die und zwar mehrtausendjährige Arbeit der Vernunft und ihres Verstandes ist, ist freilich alle die Mühe der von dem denkenden Begriffe geleiteten Vernunfteinsicht und Erkenntnis erspart. Mephistopheles bei Goethe - eine gute Autorität - sagt darüber ungefähr, was ich auch sonst angeführt:
Verachte nur Verstand und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Gaben - so hast dem Teufel dich ergeben und mußt zugrunde gehn. 5)
Unmittelbar nahe liegt es, daß solche Ansicht sich auch die Gestalt der Frömmigkeit annimmt; denn mit was allem hat dieses Getreibe sich nicht zu autorisieren versucht! Mit der Gottseligkeit und der Bibel aber hat es sich die höchste Berechtigung, die sittliche Ordnung und die Objektivität der Gesetze zu verachten, zu geben vermeint. Denn wohl ist es auch die Frömmigkeit, welche die in der Welt zu einem organischen Reiche auseinandergeschlagene Wahrheit zur einfacheren Anschauung des Gefühls einwickelt. Aber sofern sie rechter Art ist, gibt sie die Form dieser Region auf, sobald sie aus dem Innern heraus in den Tag der Entfaltung und des geoffenbarten Reichtums der Idee eintritt, und bringt aus ihrem inneren Gottesdienst die Verehrung gegen eine an und für sich seiende, über die subjektive Form des Gefühls erhabene Wahrheit und Gesetze mit.
Die besondere Form des üblen Gewissens, welche sich in der Art der Beredsamkeit, zu der sich jene Seichtigkeit aufspreizt, kundtut, kann hierbei bemerklich gemacht werden; und zwar zunächst, daß sie da, wo sie am geistlosesten ist, am meisten vom Geiste spricht, wo sie am totesten und ledernsten redet, das Wort Leben und ins Leben einführen, wo sie die größte Selbstsucht des leeren Hochmuts kundtut, am meisten das Wort Volk im Munde führt. Das eigentümliche Wahrzeichen aber, das sie an der Stirne trägt, ist der Haß gegen das Gesetz. Daß Recht und Sittlichkeit, und die wirkliche Welt des Rechts und des Sittlichen, sich durch den Gedanken erfaßt, durch Gedanken sich die Form der Vernünftigkeit, nämlich Allgemeinheit und Bestimmtheit gibt, dies, das Gesetz, ist es, was jenes sich das Belieben vorbehaltende Gefühl, jenes das Rechte in die subjektive Überzeugung stellende Gewissen mit Grund als das sich feindseligste ansieht. Die Form des Rechten als einer Pflicht und als eines Gesetzes wird von ihm als ein toter, kalter Buchstabe und als eine Fessel empfunden; denn es erkennt in ihm nicht sich selbst, sich in ihm somit nicht frei, weil das Gesetz die Vernunft der Sache ist und diese dem Gefühle nicht verstattet, sich an der eigenen Partikularität zu wärmen. Das Gesetz ist darum, wie im Laufe dieses Lehrbuchs irgendwo angemerkt worden6) , vornehmlich das Schiboleth, an dem die falschen Brüder und Freunde des sogenannten Volkes sich abscheiden.
Indem nun die Rabulisterei der Willkür sich des Namens der Philosophie bemächtigt und ein großes Publikum in die Meinung zu versetzen vermocht hat, als ob dergleichen Treiben Philosophie sei, so ist es fast gar zur Unehre geworden, über die Natur des Staats noch philosophisch zu sprechen; und es ist rechtlichen Männern nicht zu verargen, wenn sie in Ungeduld geraten, sobald sie von philosophischer Wissenschaft des Staats reden hören. Noch weniger ist sich zu verwundern, wenn die Regierungen auf solches Philosophieren endlich die Aufmerksamkeit gerichtet haben, da ohnehin bei uns die Philosophie nicht, wie etwa bei den Griechen, als eine private Kunst exerziert wird, sondern sie eine öffentliche, das Publikum berührende Existenz, vornehmlich oder allein im Staatsdienste, hat. Wenn die Regierungen ihren diesem Fache gewidmeten Gelehrten das Zutrauen bewiesen haben, sich für die Ausbildung und den Gehalt der Philosophie auf sie gänzlich zu verlassen - wäre es hier und da, wenn man will, nicht so sehr Zutrauen als Gleichgültigkeit gegen die Wissenschaft selbst gewesen und das Lehramt derselben nur traditionell beibehalten worden (wie man denn, soviel mir bekannt ist, in Frankreich die Lehrstühle der Metaphysik wenigstens hat eingehen lassen) -, so ist ihnen vielfältig jenes Zutrauen schlecht vergolten worden, oder wo man, im andern Fall, Gleichgültigkeit sehen wollte, so wäre der Erfolg, das Verkommen gründlicher Erkenntnis, als ein Büßen dieser Gleichgültigkeit anzusehen. Zunächst scheint wohl die Seichtigkeit etwa am allerverträglichsten wenigstens mit äußerer Ordnung und Ruhe zu sein, weil sie nicht dazu kommt, die Substanz der Sachen zu berühren, ja nur zu ahnen; sie würde somit, zunächst wenigstens, polizeilich nichts gegen sich haben, wenn nicht der Staat noch das Bedürfnis tieferer Bildung und Einsicht in sich schlösse und die Befriedigung desselben von der Wissenschaft forderte. Aber die Seichtigkeit führt von selbst in Rücksicht des Sittlichen, des Rechts und der Pflicht überhaupt, auf diejenigen Grundsätze, welche in dieser Sphäre das Seichte ausmachen, auf die Prinzipien der Sophisten, die wir aus Platon so entschieden kennenlernen, - die Prinzipien, welche das, was Recht ist, auf die subjektiven Zwecke und Meinungen, auf das subjektive Gefühl und die partikuläre Überzeugung stellen, - Prinzipien, aus welchen die Zerstörung ebenso der inneren Sittlichkeit und des rechtschaffenen Gewissens, der Liebe und des Rechts unter den Privatpersonen, als die Zerstörung der öffentlichen Ordnung und der Staatsgesetze folgt. Die Bedeutung, welche dergleichen Erscheinungen für die Regierungen gewinnen müssen, wird sich nicht etwa durch den Titel abweisen lassen, der sich auf das geschenkte Zutrauen selbst und auf die Autorität eines Amtes stützte, um an den Staat zu fordern, daß er das, was die substantielle Quelle von den Taten, die allgemeinen Grundsätze, verdirbt, und sogar dessen Trotz als ob es sich so gehörte, gewähren und walten lassen solle. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand, ist ein alter Scherz, den man wohl in unsern Zeiten nicht gar für Ernst wird behaupten wollen.
In der Wichtigkeit der Art und Weise des Philosophierens, welche durch die Umstände bei den Regierungen aufgefrischt worden ist, läßt sich das Moment des Schutzes und Vorschubs nicht verkennen, dessen das Studium der Philosophie nach vielen anderen Seiten hin bedürftig geworden zu sein scheint. Denn liest man in so vielen Produktionen aus dem Fache der positiven Wissenschaften, ingleichen der religiösen Erbaulichkeit und anderer unbestimmter Literatur, wie darin nicht nur die vorhin erwähnte Verachtung gegen die Philosophie bezeigt ist, daß solche, die zugleich beweisen, daß sie in der Gedankenbildung völlig zurück sind und Philosophie ihnen etwas ganz Fremdes ist, doch sie als etwas bei sich Abgetanes behandeln, - sondern wie daselbst ausdrücklich gegen die Philosophie losgezogen und ihr Inhalt, die begreifende Erkenntnis Gottes und der physischen und geistigen Natur, die Erkenntnis der Wahrheit als für eine törichte, ja sündhafte Anmaßung erklärt, wie die Vernunft, und wieder die Vernunft, und in unendlicher Wiederholung die Vernunft angeklagt, herabgesetzt und verdammt, - oder wie wenigstens zu erkennen gegeben wird, wie unbequem bei einem großen Teile des wissenschaftlich sein sollenden Treibens die doch unabwendbaren Ansprüche des Begriffes fallen, - wenn man, sage ich, dergleichen Erscheinungen vor sich hat, so möchte man beinahe dem Gedanken Raum geben, daß von dieser Seite die Tradition nicht mehr ehrwürdig noch hinreichend wäre, dem philosophischen Studium die Toleranz und die öffentliche Existenz zu sichern. 7) Die zu unserer Zeit gang und gäben Deklamationen und Anmaßungen gegen die Philosophie bieten das sonderbare Schauspiel dar, daß sie durch jene Seichtigkeit, zu der diese Wissenschaft degradiert worden ist, einerseits ihr Recht haben und andererseits selbst in diesem Elemente wurzeln, gegen das sie undankbar gerichtet sind. Denn indem jenes sich so nennende Philosophieren die Erkenntnis der Wahrheit für einen törichten Versuch erklärt hat, hat es, wie der Despotismus der Kaiser Roms Adel und Sklaven, Tugend und Laster, Ehre und Unehre, Kenntnis und Unwissenheit gleichgemacht hat, alle Gedanken und alle Stoffe nivelliert, - so daß die Begriffe des Wahren, die Gesetze des Sittlichen auch weiter nichts sind als Meinungen und subjektive Überzeugungen und die verbrecherischsten Grundsätze als Überzeugungen mit jenen Gesetzen in gleiche Würde gestellt sind, und daß ebenso jede noch so kahlen und partikularen Objekte und noch so strohernen Materien in gleiche Würde gestellt sind mit dem, was das Interesse aller denkenden Menschen und die Bänder der sittlichen Welt ausmacht.
Es ist darum als ein Glück für die Wissenschaft zu achten - in der Tat ist es, wie bemerkt, die Notwendigkeit der Sache -, daß jenes Philosophieren, das sich als eine Schulweisheit in sich fortspinnen mochte, sich in näheres Verhältnis mit der Wirklichkeit gesetzt hat, in welcher es mit den Grundsätzen der Rechte und der Pflichten Ernst ist und welche im Tage des Bewußtseins derselben lebt, und daß es somit zum öffentlichen Bruche gekommen ist. Es ist eben diese Stellung der Philosophie zur Wirklichkeit, welche die Mißverständnisse betreffen, und ich kehre hiermit zu dem zurück, was ich vorhin bemerkt habe, daß die Philosophie, weil sie das Ergründen des Vernünftigen ist, eben damit das Erfassen des Gegenwärtigen und Wirklichen, nicht das Aufstellen eines Jenseitigen ist, das Gott weiß wo sein sollte - oder von dem man in der Tat wohl zu sagen weiß, wo es ist, nämlich in dem Irrtum eines einseitigen, leeren Räsonierens. Im Verlaufe der folgenden Abhandlung habe ich bemerkt, daß selbst die Platonische Republik, welche als das Sprichwort eines leeren Ideals gilt, wesentlich nichts aufgefaßt hat als die Natur der griechischen Sittlichkeit, und daß dann im Bewußtsein des in sie einbrechenden tieferen Prinzips, das an ihr unmittelbar nur als eine noch unbefriedigte Sehnsucht und damit nur als Verderben erscheinen konnte, Platon aus eben der Sehnsucht die Hilfe dagegen hat suchen müssen, aber sie, die aus der Höhe kommen mußte, zunächst nur in einer äußeren besonderen Form jener Sittlichkeit suchen konnte, durch welche er jenes Verderben zu gewältigen sich ausdachte und wodurch er ihren tieferen Trieb, die freie unendliche Persönlichkeit, gerade am tiefsten verletzte. Dadurch aber hat er sich als der große Geist bewiesen, daß eben das Prinzip, um welches sich das Unterscheidende seiner Idee dreht, die Angel ist, um welche die8) bevorstehende Umwälzung der Welt sich gedreht hat.
Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.
In dieser Überzeugung steht jedes unbefangene Bewußtsein wie die Philosophie, und hiervon geht diese ebenso in Betrachtung des geistigen Universums aus als des natürlichen. Wenn die Reflexion, das Gefühl oder welche Gestalt das subjektive Bewußtsein habe, die Gegenwart für ein Eitles ansieht, über sie hinaus ist und es besser weiß, so befindet es sich im Eitlen, und weil es Wirklichkeit nur in der Gegenwart hat, ist es so selbst nur Eitelkeit. Wenn umgekehrt die Idee für das gilt, was nur so eine Idee, eine Vorstellung in einem Meinen ist, so gewährt hingegen die Philosophie die Einsicht, daß nichts wirklich ist als die Idee. Darauf kommt es dann an, in dem Scheine des Zeitlichen und Vorübergehenden die Substanz, die immanent, und das Ewige, das gegenwärtig ist, zu erkennen. Denn das Vernünftige, was synonym ist mit der Idee, indem es in seiner Wirklichkeit zugleich in die äußere Existenz tritt, tritt in einem unendlichen Reichtum von Formen, Erscheinungen und Gestaltungen hervor und umzieht seinen Kern mit der bunten Rinde, in welcher das Bewußtsein zunächst haust, welche der Begriff erst durchdringt, um den inneren Puls zu finden und ihn ebenso in den äußeren Gestaltungen noch schlagend zu fühlen. Die unendlich mannigfaltigen Verhältnisse aber, die sich in dieser Äußerlichkeit, durch das Scheinen des Wesens in sie, bilden, dieses unendliche Material und seine Regulierung ist nicht Gegenstand der Philosophie. Sie mischte sich damit in Dinge, die sie nicht angehen; guten Rat darüber zu erteilen, kann sie sich ersparen; Platon konnte es unterlassen, den Ammen anzuempfehlen, mit den Kindern nie stillezustehen, sie immer auf den Armen zu schaukeln, ebenso Fichte die Vervollkommnung der Paßpolizei bis dahin, wie man es nannte, zu konstruieren, daß von den Verdächtigen nicht nur das Signalement in den Paß gesetzt, sondern das Porträt darin gemalt werden solle. In dergleichen Ausführungen ist von Philosophie keine Spur mehr zu sehen, und sie kann dergleichen Ultraweisheit um so mehr lassen, als sie über diese unendliche Menge von Gegenständen gerade am liberalsten sich zeigen soll. Damit wird die Wissenschaft auch von dem Hasse, den die Eitelkeit des Besserwissens auf eine Menge von Umständen und Institutionen wirft - ein Haß, in welchem sich die Kleinlichkeit am meisten gefällt, weil sie nur dadurch zu einem Selbstgefühl kommt -, sich am entferntesten zeigen.
So soll denn diese Abhandlung, insofern sie die Staatswissenschaft enthält, nichts anderes sein als der Versuch, den Staat als ein in sich Vernünftiges zu begreifen und darzustellen. Als philosophische Schrift muß sie am entferntesten davon sein, einen Staat, wie er sein soll, konstruieren zu sollen; die Belehrung, die in ihr liegen kann, kann nicht darauf gehen, den Staat zu belehren, wie er sein soll, sondern vielmehr, wie er, das sittliche Universum, erkannt werden soll.
'Ιδου` Ρόδος, ιδοὺ` ϰαὶ` τὸ` πήδημα. Hic Rhodus, hic saltus.
Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das was ist, ist die Vernunft. Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jedes ein Sohn seiner Zeit; so ist auch die Philosophie ihre Zeit in Gedanken erfaßt. Es ist ebenso töricht zu wähnen, irgendeine Philosophie gehe über ihre gegenwärtige Welt hinaus, als, ein Individuum überspringe seine Zeit, springe über Rhodus hinaus. Geht seine Theorie in der Tat drüber hinaus, baut es sich eine Welt, wie sie sein soll, so existiert sie wohl, aber nur in seinem Meinen - einem weichen Elemente, dem sich alles Beliebige einbilden läßt.
Mit weniger Veränderung würde jene Redensart lauten:
Hier ist die Rose, hier tanze.
Was zwischen der Vernunft als selbstbewußtem Geiste und der Vernunft als vorhandener Wirklichkeit liegt, was jene Vernunft von dieser scheidet und in ihr nicht die Befriedigung finden läßt, ist die Fessel irgendeines Abstraktums, das nicht zum Begriffe befreit ist. Die Vernunft als die Rose im Kreuze der Gegenwart zu erkennen und damit dieser sich zu erfreuen, diese vernünftige Einsicht ist die Versöhnung mit der Wirklichkeit, welche die Philosophie denen gewährt, an die einmal die innere Anforderung ergangen ist, zu begreifen und in dem, was substantiell ist, ebenso die subjektive Freiheit zu erhalten sowie mit der subjektiven Freiheit nicht in einem Besonderen und Zufälligen, sondern in dem, was an und für sich ist, zu stehen.
Dies ist es auch, was den konkreteren Sinn dessen ausmacht, was oben abstrakter als Einheit der Form und des Inhalts bezeichnet worden ist, denn die Form in ihrer konkretesten Bedeutung ist die Vernunft als begreifendes Erkennen, und der Inhalt die Vernunft als das substantielle Wesen der sittlichen wie der natürlichen Wirklichkeit; die bewußte Identität von beidem ist die philosophische Idee. - Es ist ein großer Eigensinn, der Eigensinn, der dem Menschen Ehre macht, nichts in der Gesinnung anerkennen zu wollen, was nicht durch den Gedanken gerechtfertigt ist, - und dieser Eigensinn ist das Charakteristische der neueren Zeit, ohnehin das eigentümliche Prinzip des Protestantismus. Was Luther als Glauben im Gefühl und im Zeugnis des Geistes begonnen, es ist dasselbe, was der weiterhin gereifte Geist im Begriffe zu fassen und so in der Gegenwart sich zu befreien und dadurch in ihr sich zu finden bestrebt ist. Wie es ein berühmtes Wort geworden ist, daß eine halbe Philosophie von Gott abführe - und es ist dieselbe Halbheit, die das Erkennen in eine Annäherung zur Wahrheit setzt -, die wahre Philosophie aber zu Gott führe, so ist es dasselbe mit dem Staate. So wie die Vernunft sich nicht mit der Annäherung, als welche weder kalt noch warm ist und darum ausgespien wird, begnügt, ebensowenig begnügt sie sich mit der kalten Verzweiflung, die zugibt, daß es in dieser Zeitlichkeit wohl schlecht oder höchstens mittelmäßig zugehe, aber eben in ihr nichts Besseres zu haben und nur darum Frieden mit der Wirklichkeit zu halten sei; es ist ein wärmerer Friede mit ihr, den die Erkenntnis verschafft.
Um noch über das Belehren, wie die Welt sein soll, ein Wort zu sagen, so kommt dazu ohnehin die Philosophie immer zu spät. Als der Gedanke der Welt erscheint sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß vollendet und sich fertig gemacht hat. Dies, was der Begriff lehrt, zeigt notwendig ebenso die Geschichte, daß erst in der Reife der Wirklichkeit das Ideale dem Realen gegenüber erscheint und jenes sich dieselbe Welt, in ihrer Substanz erfaßt, in Gestalt eines intellektuellen Reichs erbaut. Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.
Doch es ist Zeit, dieses Vorwort zu schließen; als Vorwort kam ihm ohnehin nur zu, äußerlich und subjektiv von dem Standpunkt der Schrift, der es vorangeschickt ist, zu sprechen. Soll philosophisch von einem Inhalte gesprochen werden, so verträgt er nur eine wissenschaftliche, objektive Behandlung, wie denn auch dem Verfasser Widerrede anderer Art als eine wissenschaftliche Abhandlung der Sache selbst nur für ein subjektives Nachwort und beliebige Versicherung gelten und ihm gleichgültig sein muß.
Berlin, den 25. Juni 1820.
1) Die von Hegel angegebenen Paragraphen beziehen sich immer auf diese 1. Aufl. In den Endnoten werden jeweils die entsprechenden Paragraphen der 3. Aufl. (1830) angegeben.
2) *Zusatz. [Dieser Zusatz, von Gans eingeschaltet, stammt aus einer Vorlesung über Naturrecht und Staatswissenschaft vom Wintersemester 1822/23.] Es gibt zweierlei Arten von Gesetzen, Gesetze der Natur und des Rechts: die Gesetze der Natur sind schlechthin und gelten so, wie sie sind: sie leiden an keiner Verkümmerung, obgleich man sich in einzelnen Fällen dagegen vergehen kann. Um zu wissen, was das Gesetz der Natur ist, müssen wir dieselbe kennenlernen, denn diese Gesetze sind richtig; nur unsere Vorstellungen davon können falsch sein. Der Maßstab dieser Gesetze ist außer uns, und unser Erkennen tut nichts zu ihnen hinzu, befördert sie nicht: nur unsere Erkenntnis über sie kann sich erweitern. Die Kenntnis des Rechts ist einerseits ebenso andererseits nicht. Wir lernen die Gesetze ebenso kennen, wie sie schlechthin da sind; so hat sie mehr oder weniger der Bürger, und der positive Jurist bleibt nicht minder bei dem, was gegeben ist, stehen. Aber der Unterschied ist, daß bei den Rechtsgesetzen sich der Geist der Betrachtung erhebt und schon die Verschiedenheit der Gesetze darauf aufmerksam macht, daß sie nicht absolut sind. Die Rechtsgesetze sind Gesetztes, von Menschen Herkommendes. Mit diesem kann notwendig die innere Stimme in Kollision treten oder sich ihm anschließen. Der Mensch bleibt bei dem Daseienden nicht stehen, sondern behauptet, in sich den Maßstab zu haben von dem, was recht ist; er kann der Notwendigkeit und der Gewalt äußerer Autorität unterworfen sein, aber niemals wie der Notwendigkeit der Natur, denn ihm sagt immer sein Inneres, wie es sein solle, und in sich selbst findet er die Bewährung oder Nichtbewährung dessen, was gilt. In der Natur ist die höchste Wahrheit, daß ein Gesetz überhaupt ist; in den Gesetzen des Rechts gilt die Sache nicht, weil sie ist, sondern jeder fordert, sie solle seinem eigenen Kriterium entsprechen. Hier also ist ein Widerstreit möglich dessen, was ist, und dessen, was sein soll, des an und für sich seienden Rechts, welches unverändert bleibt, und der Willkürlichkeit der Bestimmung dessen, was als Recht gelten solle. Solche Trennung und solcher Kampf findet sich nur auf dem Boden des Geistes, und weil der Vorzug des Geistes somit zum Unfrieden und zur Unseligkeit zu führen scheint, so wird man häufig zur Betrachtung der Natur aus der Willkür des Lebens zurückverwiesen und soll sich an derselben ein Muster nehmen. Gerade in diesen Gegensätzen aber des an und für sich seienden Rechts und dessen, was die Willkür als Recht geltend macht, liegt das Bedürfnis, gründlich das Rechte erkennen zu lernen. Seine Vernunft muß dem Menschen im Rechte entgegenkommen; er muß also die Vernünftigkeit des Rechts betrachten, und dies ist die Sache unserer Wissenschaft, im Gegensatz der positiven Jurisprudenz, die es oft nur mit Widersprüchen zu tun hat. Die gegenwärtige Welt hat dazu noch ein dringenderes Bedürfnis, denn vor alten Zeiten war noch Achtung und Ehrfurcht vor dem bestehenden Gesetz da; jetzt aber hat die Bildung der Zeit eine andere Wendung genommen, und der Gedanke hat sich an die Spitze alles dessen gestellt, was gelten soll. Theorien stellen sich dem Daseienden gegenüber und wollen als an und für sich richtig und notwendig erscheinen. Nunmehr wird es spezielleres Bedürfnis, die Gedanken des Rechts zu erkennen und zu begreifen. Da sich der Gedanke zur wesentlichen Form erhoben hat, so muß man auch das Recht als Gedanken zu fassen suchen. Dies scheint zufälligen Meinungen Tür und Tor zu öffnen, wenn der Gedanke über das Recht kommen soll; aber der wahrhafte Gedanke ist keine Meinung über die Sache, sondern der Begriff der Sache selbst. Der Begriff der Sache kommt uns nicht von Natur. Jeder Mensch hat Finger, kann Pinsel und Farben haben, darum aber ist er noch kein Maler. Ebenso ist es mit dem Denken. Der Gedanke des Rechts ist nicht etwa, was jedermann aus erster Hand hat, sondern das richtige Denken ist das Kennen und Erkennen der Sache, und unsere Erkenntnis soll daher wissenschaftlich sein.
3) *Von der Seichtigkeit seiner Wissenschaft habe ich sonst Zeugnis gegeben; s. Wissenschaft der Logik (Nürnberg 1812), Einl. S. XVII.
4) Jakob Friedrich Fries, 1773-1843 - als Professor der Philosophie und Mathematik Hegels Vorgänger in Heidelberg - hatte 1817 auf dem Wartburgfest eine Rede gehalten und wurde daraufhin vorübergehend vom Lehramt suspendiert; siehe "Feierrede des Prof. Fries an die Teutschen Burschen ... ", Oppositionsblatt oder Weimarische Zeitung, 1817, Nr. 257.
5) "Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, Des Menschen allerhöchste Kraft, ... Und hätt er sich auch nicht dem Teufel übergeben, Er müßte doch zugrunde gehn!" Goethe, Faust, 1. Teil, Studierzimmer, V. 1851-52, 1866-67
6) *Das genannte Buch ist um des angegebenen Charakters willen von origineller Art. Der Unmut des Verfassers könnte für sich etwas Edles haben, indem derselbe sich an den vorhin erwähnten, von Rousseau vornehmlich ausgegangenen falschen Theorien und hauptsächlich an deren versuchter Realisierung entzündet hat. Aber der Herr v. Haller hat sich, um sich zu retten, in ein Gegenteil geworfen, das ein völliger Mangel an Gedanken ist und bei dem deswegen von Gehalt nicht die Rede sein kann, - nämlich in den bittersten Haß gegen alle Gesetze, Gesetzgebung, alles förmlich und gesetzlich bestimmte Recht. Der Haß des Gesetzes, gesetzlich bestimmten Rechts ist das Schiboleth, an dem sich der Fanatismus, der Schwachsinn und die Heuchelei der guten Absichten offenbaren und unfehlbar zu erkennen geben, was sie sind, sie mögen sonst Kleider umnehmen, welche sie wollen. - Eine Originalität, wie die von Hallersche, ist immer eine merkwürdige Erscheinung, und für diejenigen meiner Leser, welche das Buch noch nicht kennen, will ich einiges zur Probe anführen. Nachdem Herr v. Haller (1. Bd., S. 342 ff.) seinen Hauptgrundsatz aufgestellt, 'daß nämlich wie im Unbelebten das Größere das Kleinere, das Mächtige das Schwache verdränge usf., so auch unter den Tieren und dann unter den Menschen dasselbe Gesetz unter edleren Gestalten (oft wohl auch unter unedlen?) wiederkomme', und 'daß dies also die ewige unabänderliche Ordnung Gottes sei, daß der Mächtigere herrsche, herrschen müsse und immer herrschen werde' - man sieht schon hieraus und ebenso aus dem Folgenden, in welchem Sinne hier die Macht gemeint ist: nicht die Macht des Gerechten und Sittlichen, sondern die zufällige Naturgewalt -, so belegt er dies nun weiterhin und unter anderen Gründen auch damit (S. 365 f.), daß die Natur es mit bewundernswürdiger Weisheit also geordnet, daß gerade das Gefühl eigener Überlegenheit unwiderstehlich den Charakter veredelt und die Entwicklung eben derjenigen Tugenden begünstigt, welche für die Untergebenen am notwendigsten sind. Er fragt mit vieler schulrhetorischen Ausführung. 'ob es im Reiche der Wissenschaften die Starken oder Schwachen sind, welche Autorität und Zutrauen mehr zu niedrigen eigennützigen Zwecken und zum Verderben der gläubigen Menschen mißbrauchen, ob unter den Rechtsgelehrten die Meister in der Wissenschaft die Legulejen und Rabulisten sind, welche die Hoffnung gläubiger Klienten betrügen, die das Weiße schwarz, das Schwarze weiß machen, die die Gesetze zum Vehikel des Unrechts mißbrauchen, ihre Schutzbedürftigen dem Bettelstab entgegenführen und wie hungrige Geier das unschuldige Lamm zerfleischen', usf. Hier vergißt Herr v. Haller, daß er solche Rhetorik gerade zur Unterstützung des Satzes anführt, daß die Herrschaft des Mächtigeren ewige Ordnung Gottes sei, die Ordnung, nach welcher der Geier das unschuldige Lamm zerfleischt, daß also die durch Gesetzeskenntnis Mächtigeren ganz recht daran tun, die gläubigen Schutzbedürftigen als die Schwachen zu plündern. Es wäre aber zuviel gefordert, daß da zwei Gedanken zusammengebracht wären, wo sich nicht einer findet. - Daß Herr v. Haller ein Feind von Gesetzbüchern ist, versteht sich von selbst; die bürgerlichen Gesetze sind nach ihm überhaupt einesteils 'unnötig, indem sie aus dem natürlichen Gesetze sich von selbst verstehen' - es wäre, seit es Staaten gibt, viel Mühe erspart worden, die auf das Gesetzgeben und die Gesetzbücher verwandt worden und die noch darauf und auf das Studium des gesetzlichen Rechts verwendet wird, wenn man sich von je bei dem gründlichen Gedanken, daß sich alles das von selbst verstehe, beruhigt hätte -; 'andernteils werden die Gesetze eigentlich nicht den Privatpersonen gegeben, sondern als Instruktionen für die Unterrichter, um ihnen den Willen des Gerichtsherrn bekanntzumachen. Die Gerichtsbarkeit ist ohnehin (1. Bd., S. 297 f. und allerwärts) nicht eine Pflicht des Staats, sondern eine Wohltat, nämlich eine Hilfeleistung von Mächtigeren und bloß suppletorisch; unter den Mitteln zur Sicherung des Rechts ist sie nicht das vollkommenste, vielmehr unsicher und ungewiß, das Mittel, das uns unsere neueren Rechtsgelehrten allein lassen und uns die drei anderen Mittel rauben, gerade diejenigen, die am schnellsten und sichersten zum Ziele führen und die außer jenem dem Menschen die freundliche Natur zur Sicherung seiner rechtlichen Freiheit gegeben hat' - und diese drei sind (was meint man wohl?) '1. eigene Befolgung und Einschärfung des natürlichen Gesetzes, 2. Widerstand gegen Unrecht, 3. Flucht, wo keine Hilfe mehr zu finden.' (Wie unfreundlich sind doch die Rechtsgelehrten im Vergleich der freundlichen Natur!) 'Das natürliche göttliche Gesetz aber, das (1. Bd., S. 292) die allgütige Natur jedem gegeben, ist: Ehre in jedem deinesgleichen (nach dem Prinzip des Verfassers müßte es heißen: Ehre [den,] der nicht deinesgleichen, sondern der Mächtigere ist), beleidige niemand, der dich nicht beleidigt; fordere nichts, was er dir nicht schuldig ist (was ist er aber schuldig?), ja, noch mehr: Liebe deinen Nächsten und nütze ihm wo du kannst.' - Die Einpflanzung dieses Gesetzes soll es sein, was Gesetzgebung und Verfassung überflüssig mache. Es wäre merkwürdig zu sehen, wie Herr v. Haller es sich begreiflich macht, daß, dieser Einpflanzung ungeachtet, doch Gesetzgebungen und Verfassungen in die Welt gekommen sind! - In Bd. 3, S. 362 f. kommt der Herr Verf. auf die 'sogenannten Nationalfreiheiten' - d. i. die Rechts- und Verfassungsgesetze der Nationen; jedes gesetzlich bestimmte Recht hieß in diesem großen Sinne eine Freiheit; er sagt von diesen Gesetzen unter anderm, 'daß ihr Inhalt gewöhnlich sehr unbedeutend sei, ob man gleich in Büchern auf dergleichen urkundliche Freiheiten einen großen Wert setzen möge'. Wenn man dann sieht, daß es die Nationalfreiheiten der deutschen Reichsstände, der englischen Nation - die Charta Magna 'die aber wenig gelesen und wegen der veralteten Ausdrücke noch weniger verstanden wird', die Bill of Rights usf. -, der ungarischen Nation usf. sind, von welchen der Verfasser spricht: so wundert man sich zu erfahren, daß diese sonst für so wichtig gehaltenen Besitztümer etwas Unbedeutendes sind und daß bei diesen Nationen auf ihre Gesetze, die zu jedem Stück Kleidung, das die Individuen tragen, zu jedem Stück Brot, das sie essen, konkurriert haben und täglich und stündlich in allem konkurrieren, bloß in Büchern ein Wert gelegt werde. - Auf das preußische allgemeine Gesetzbuch, um noch dies anzuführen, ist Herr v. Haller besonders übel zu sprechen ( 1. Bd., S. 185 ff.), weil die unphilosophischen [bei Haller: "neuphilosophisch"] Irrtümer (wenigstens noch nicht die Kantische Philosophie, auf welche Herr v. Haller am erbittertsten ist) dabei ihren unglaublichen Einfluß bewiesen haben, unter anderem vornehmlich, weil darin vom Staate, Staatsvermögen, dem Zwecke des Staats, vom Oberhaupte des Staats, von Pflichten des Oberhaupts, Staatsdienern usf. die Rede sei. Am ärgsten ist dem Herrn v. Haller, 'das Recht, zur Bestreitung der Staatsbedürfnisse das Privatvermögen der Personen, ihr Gewerbe, Produkte oder Konsumtion mit Abgaben zu belegen; weil somit der König selbst, da das Staatsvermögen nicht als Privateigentum des Fürsten, sondern als Staatsvermögen qualifiziert wird, so auch die preußischen Bürger nichts Eigenes mehr haben, weder ihren Leib noch ihr Gut, und alle Untertanen gesetzlich Leibeigene seien, denn sie dürfen sich dem Dienst des Staats nicht entziehen'. Zu aller dieser unglaublichen Krudität könnte man die Rührung am possierlichsten finden, mit der Herr v. Haller das unaussprechliche Vergnügen über seine Entdeckungen beschreibt (1. Bd., Vorrede [S. XXIII f.]), - "eine Freude, wie nur der Wahrheitsfreund sie fühlen kann, wenn er nach redlichem Forschen die Gewißheit erhält, daß ... er gleichsam (jawohl, gleichsam!) den Ausspruch der Natur, das Wort Gottes selbst, getroffen habe" (das Wort Gottes unterscheidet vielmehr seine Offenbarungen von den Aussprüchen der Natur und des natürlichen Menschen sehr ausdrücklich) "wie er vor lauter Bewunderung hätte niedersinken mögen, ein Strom von freudigen Tränen seinen Augen entquoll und die lebendige Religiosität von da in ihm entstanden ist". - Herr v. Haller hätte es aus Religiosität vielmehr als das härteste Strafgericht Gottes beweinen müssen - denn es ist das Härteste, was dem Menschen widerfahren kann -, vom Denken und der Vernünftigkeit, von der Verehrung der Gesetze und von der Erkenntnis, wie unendlich wichtig, göttlich es ist, daß die Pflichten des Staats und die Rechte der Bürger wie die Rechte des Staats und die Pflichten der Bürger gesetzlich bestimmt sind, soweit abgekommen zu sein, daß sich ihm das Absurde für das Wort Gottes unterschiebt.
7) *Dergleichen Ansichten fielen mir bei einem Briefe Joh. v. Müllers (Werke [Tübingen 1810-19], Teil VIII, S. 56) ein, wo es vom Zustande Roms in Jahre 1803, als diese Stadt unter französischer Herrschaft stand, unter anderem heißt: "Befragt, wie es um die öffentlichen Lehranstalten stehe, antwortete ein Professor: On les tolère comme les bordels." - Die sogenannte Vernunftlehre, nämlich die Logik, kann man wohl sogar noch empfehlen hören, etwa mit der Überzeugung, daß man sich mit ihr als trockener und unfruchtbarer Wissenschaft entweder ohnehin nicht mehr beschäftige oder, wenn dies hin und wieder geschehe, man in ihr nur inhaltslose, also nichtsgebende und nichtsverderbende Formeln erhalte, daß somit die Empfehlung auf keinen Fall schaden sowie nichts nutzen werde.
8) in Hegels Handexemplar eingefügt
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