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A. Das innere Staatsrecht
§ 260
Der Staat ist die Wirklichkeit der konkreten Freiheit; die konkrete Freiheit aber besteht darin, daß die persönliche Einzelheit und deren besondere Interessen sowohl ihre vollständige Entwicklung und die Anerkennung ihres Rechts für sich (im Systeme der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft) haben, als sie durch sich selbst in das Interesse des Allgemeinen teils übergehen, teils mit Wissen und Willen dasselbe und zwar als ihren eigenen substantiellen Geist anerkennen und für dasselbe als ihren Endzweck tätig sind, so daß weder das Allgemeine ohne das besondere Interesse, Wissen und Wollen gelte und vollbracht werde, noch daß die Individuen bloß für das letztere als Privatpersonen leben und nicht zugleich in und für das Allgemeine wollen und eine dieses Zwecks bewußte Wirksamkeit haben. Das Prinzip der modernen Staaten hat diese ungeheure Stärke und Tiefe, das Prinzip der Subjektivität sich zum selbständigen Extreme der persönlichen Besonderheit vollenden zu lassen und zugleich es in die substantielle Einheit zurückzuführen und so in ihm selbst diese zu erhalten.
Zusatz. Die Idee des Staats in neuer Zeit hat die Eigentümlichkeit, daß der Staat die Verwirklichung der Freiheit nicht nach subjektivem Belieben, sondern nach dem Begriffe des Willens, d. h. nach seiner Allgemeinheit und Göttlichkeit ist. Die unvollkommenen Staaten sind die, in denen die Idee des Staats noch eingehüllt ist und wo die besonderen Bestimmungen derselben nicht zu freier Selbständigkeit gekommen sind. In den Staaten des klassischen Altertums findet sich allerdings schon die Allgemeinheit vor, aber die Partikularität war noch nicht losgebunden und freigelassen und zur Allgemeinheit, d. h. zum allgemeinen Zweck des Ganzen zurückgeführt. Das Wesen des neuen Staates ist, daß das Allgemeine verbunden sei mit der vollen Freiheit der Besonderheit und dem Wohlergehen der Individuen, daß also das Interesse der Familie und bürgerlichen Gesellschaft sich zum Staate zusammennehmen muß, daß aber die Allgemeinheit des Zwecks nicht ohne das eigene Wissen und Wollen der Besonderheit, die ihr Recht behalten muß, fortschreiten kann. Das Allgemeine muß also betätigt sein, aber die Subjektivität auf der anderen Seite ganz und lebendig entwickelt werden. Nur dadurch, daß beide Momente in ihrer Stärke bestehen, ist der Staat als ein gegliederter und wahrhaft organisierter anzusehen.
§ 261
Gegen die Sphären des Privatrechts und Privatwohls, der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft ist der Staat einerseits eine äußerliche Notwendigkeit und ihre höhere Macht, deren Natur ihre Gesetze sowie ihre Interessen untergeordnet und davon abhängig sind; aber andererseits ist er ihr immanenter Zweck und hat seine Stärke in der Einheit seines allgemeinen Endzwecks und des besonderen Interesses der Individuen, darin, daß sie insofern Pflichten gegen ihn haben, als sie zugleich Rechte haben (§ 155).
Daß den Gedanken der Abhängigkeit insbesondere auch der privatrechtlichen Gesetze von dem bestimmten Charakter des Staats und die philosophische Ansicht, den Teil nur in seiner Beziehung auf das Ganze zu betrachten, vornehmlich Montesquieu in seinem berühmten Werke Der Geist der Gesetze ins Auge gefaßt und auch ins einzelne auszuführen versucht hat, ist schon oben § 3 Anm. bemerkt worden. - Da die Pflicht zunächst das Verhalten gegen etwas für mich Substantielles, an und für sich Allgemeines ist, das Recht dagegen das Dasein überhaupt dieses Substantiellen ist, damit die Seite seiner Besonderheit und meiner besonderen Freiheit ist, so erscheint beides auf den formellen Stufen an verschiedene Seiten oder Personen verteilt. Der Staat, als Sittliches, als Durchdringung des Substantiellen und des Besonderen, enthält, daß meine Verbindlichkeit gegen das Substantielle zugleich das Dasein meiner besonderen Freiheit, d. i. in ihm Pflicht und Recht in einer und derselben Beziehung vereinigt sind. Weil aber ferner zugleich im Staate die unterschiedenen Momente zu ihrer eigentümlichen Gestaltung und Realität kommen, hiermit der Unterschied von Recht und Pflicht wieder eintritt, so sind sie, indem sie an sich, d. i. formell identisch sind, zugleich ihrem Inhalte nach verschieden. Im Privatrechtlichen und Moralischen fehlt die wirkliche Notwendigkeit der Beziehung, und damit ist nur die abstrakte Gleichheit des Inhalts vorhanden; was in diesen abstrakten Sphären dem einen Recht ist, soll auch dem anderen Recht, und was dem einen Pflicht ist, soll auch dem anderen Pflicht sein. Jene absolute Identität der Pflicht und des Rechts findet nur als gleiche Identität des Inhalts statt, in der Bestimmung, daß dieser Inhalt selbst der ganz allgemeine, nämlich das eine Prinzip der Pflicht und des Rechts, die persönliche Freiheit des Menschen ist. Sklaven haben deswegen keine Pflichten, weil sie keine Rechte haben, und umgekehrt - (von religiösen Pflichten ist hier nicht die Rede). - Aber in der konkreten, sich in sich entwickelnden Idee unterscheiden sich ihre Momente, und ihre Bestimmtheit wird zugleich ein verschiedener Inhalt; in der Familie hat der Sohn nicht Rechte desselben Inhalts, als er Pflichten gegen den Vater, und der Bürger nicht Rechte desselben Inhalts, als er Pflichten gegen Fürst und Regierung hat. - Jener Begriff von Vereinigung von Pflicht und Recht ist eine der wichtigsten Bestimmungen und enthält die innere Stärke der Staaten. - Die abstrakte Seite der Pflicht bleibt dabei stehen, das besondere Interesse als ein unwesentliches, selbst unwürdiges Moment zu übersehen und zu verbannen. Die konkrete Betrachtung, die Idee, zeigt das Moment der Besonderheit ebenso wesentlich und damit seine Befriedigung als schlechthin notwendig; das Individuum muß in seiner Pflichterfüllung auf irgendeine Weise zugleich sein eigenes Interesse, seine Befriedigung oder Rechnung finden, und ihm [muß] aus seinem Verhältnis im Staat ein Recht erwachsen, wodurch die allgemeine Sache seine eigene besondere Sache wird. Das besondere Interesse soll wahrhaft nicht beiseite gesetzt oder gar unterdrückt, sondern mit dem Allgemeinen in Übereinstimmung gesetzt werden, wodurch es selbst und das Allgemeine erhalten wird. Das Individuum, nach seinen Pflichten Untertan, findet als Bürger in ihrer Erfüllung den Schutz seiner Person und Eigentums, die Berücksichtigung seines besonderen Wohls und die Befriedigung seines substantiellen Wesens, das Bewußtsein und das Selbstgefühl, Mitglied dieses Ganzen zu sein, und in dieser Vollbringung der Pflichten als Leistungen und Geschäfte für den Staat hat dieser seine Erhaltung und sein Bestehen. Nach der abstrakten Seite wäre das Interesse des Allgemeinen nur, daß seine Geschäfte, die Leistungen, die es erfordert, als Pflichten vollbracht werden.
Zusatz. Auf die Einheit der Allgemeinheit und Besonderheit im Staate kommt alles an. In den alten war der subjektive Zweck mit dem Wollen des Staates schlechthin eins, in den modernen Zeiten dagegen fordern wir eine eigene Ansicht, ein eigenes Wollen und Gewissen. Die Alten hatten keines in diesem Sinne; das Letzte war ihnen der Staatswille. Während in den asiatischen Despotien das Individuum keine Innerlichkeit und keine Berechtigung in sich hat, will der Mensch in der modernen Welt in seiner Innerlichkeit geehrt sein. Die Verbindung von Pflicht und Recht hat die gedoppelte Seite, daß das, was der Staat als Pflicht fordert, auch das Recht der Individualität unmittelbar sei, indem es nichts eben ist als Organisation des Begriffs der Freiheit. Die Bestimmungen des individuellen Willens sind durch den Staat in ein objektives Dasein gebracht und kommen durch ihn erst zu ihrer Wahrheit und Verwirklichung. Der Staat ist die alleinige Bedingung der Erreichung des besonderen Zwecks und Wohls.
§ 262
Die wirkliche Idee, der Geist, der sich selbst in die zwei ideellen Sphären seines Begriffs, die Familie und die bürgerliche Gesellschaft, als in seine Endlichkeit scheidet, um aus ihrer Idealität für sich unendlicher wirklicher Geist zu sein, teilt somit diesen Sphären das Material dieser seiner endlichen Wirklichkeit, die Individuen als die Menge zu, so daß diese Zuteilung am Einzelnen durch die Umstände, die Willkür und eigene Wahl seiner Bestimmung vermittelt erscheint (§ 185 und Anm. das.).
Zusatz. Im Platonischen Staate gilt die subjektive Freiheit noch nichts, indem die Obrigkeit noch den Individuen die Geschäfte zuweist. In vielen orientalischen Staaten geschieht diese Zuweisung durch die Geburt. Die subjektive Freiheit, die berücksichtigt werden muß, fordert aber freie Wahl der Individuen.
§ 263
In diesen Sphären, in denen seine Momente, die Einzelheit und Besonderheit, ihre unmittelbare und reflektierte Realität haben, ist der Geist als ihre in sie scheinende objektive Allgemeinheit, als die Macht des Vernünftigen in der Notwendigkeit (§ 184), nämlich als die im Vorherigen betrachteten Institutionen.
Zusatz. Der Staat als Geist unterscheidet sich in die besonderen Bestimmungen seines Begriffs, seiner Weise, zu sein. Wollen wir hier ein Beispiel aus der Natur beibringen, so ist das Nervensystem das eigentlich empfindende System: es ist das abstrakte Moment, bei sich selbst zu sein und die Identität seiner selbst darin zu haben. Die Analyse der Empfindung gibt aber nun zwei Seiten an und teilt sich so, daß die Unterschiede als ganze Systeme erscheinen: das erste ist das abstrakte Fühlen, das Beisichbehalten, die dumpfe Bewegung in sich, die Reproduktion, das innerliche Sichnähren, Produzieren und Verdauen. Das zweite Moment ist, daß dies Beisichselbstsein das Moment der Differenz, das Nachaußengehen sich gegenüber hat. Dieses ist die Irritabilität, das Nachaußengehen der Empfindung. Diese macht ein eigenes System aus, und es gibt niedrige Tierklassen, die nur dieses ausgebildet haben, nicht die seelenvolle Einheit der Empfindung in sich. Vergleichen wir diese Naturbeziehungen mit denen des Geistes, so ist die Familie mit der Sensibilität, die bürgerliche Gesellschaft mit der Irritabilität zusammenzustellen. Das Dritte ist nun der Staat, das Nervensystem für sich, in sich organisiert; aber es ist nur lebendig, insofern beide Momente, hier die Familie und bürgerliche Gesellschaft, in ihm entwickelt sind. Die Gesetze, die sie regieren, sind die Institutionen des in sie scheinenden Vernünftigen. Der Grund, die letzte Wahrheit dieser Institutionen ist aber der Geist, der ihr allgemeiner Zweck und gewußter Gegenstand ist. Die Familie ist zwar auch sittlich, allein der Zweck ist nicht als gewußter; in der bürgerlichen Gesellschaft dagegen ist die Trennung das Bestimmende.
§ 264
Die Individuen der Menge, da sie selbst geistige Naturen und damit das gedoppelte Moment, nämlich das Extrem der für sich wissenden und wollenden Einzelheit und das Extrem der das Substantielle wissenden und wollenden Allgemeinheit in sich enthalten und daher zu dem Rechte dieser beiden Seiten nur gelangen, insofern sie sowohl als Privat- wie als substantielle Personen wirklich sind, - erreichen in jenen Sphären teils unmittelbar das erstere, teils das andere so, daß sie in den Institutionen, als dem an sich seienden Allgemeinen ihrer besonderen Interessen, ihr wesentliches Selbstbewußtsein haben, teils daß sie ihnen ein auf einen allgemeinen Zweck gerichtetes Geschäft und Tätigkeit in der Korporation gewähren.
§ 265
Diese Institutionen machen die Verfassung, d. i. die entwickelte und verwirklichte Vernünftigkeit, im Besonderen aus und sind darum die feste Basis des Staats sowie des Zutrauens und der Gesinnung der Individuen für denselben und die Grundsäulen der öffentlichen Freiheit, da in ihnen die besondere Freiheit realisiert und vernünftig, damit in ihnen selbst an sich die Vereinigung der Freiheit und Notwendigkeit vorhanden ist.
Zusatz. Schon früher ist bemerkt worden, daß die Heiligkeit der Ehe und die Institutionen, worin die bürgerliche Gesellschaft als sittlich erscheint, die Festigkeit des Ganzen ausmache, das heißt, das Allgemeine sei zugleich die Sache eines jeden als Besonderen. Worauf es ankommt ist, daß sich das Gesetz der Vernunft und der besonderen Freiheit durchdringe und mein besonderer Zweck identisch mit dem Allgemeinen werde, sonst steht der Staat in der Luft. Das Selbstgefühl der Individuen macht seine Wirklichkeit aus, und seine Festigkeit ist die Identität jener beiden Seiten. Man hat oft gesagt, der Zweck des Staates sei das Glück der Bürger; dies ist allerdings wahr: ist ihnen nicht wohl, ist ihr subjektiver Zweck nicht befriedigt, finden sie nicht, daß die Vermittlung dieser Befriedigung der Staat als solcher ist, so steht derselbe auf schwachen Füßen.
§ 266
Aber der Geist ist nicht nur als diese Notwendigkeit und als ein Reich der Erscheinung, sondern als die Idealität derselben und als ihr Inneres sich objektiv und wirklich; so ist diese substantielle Allgemeinheit sich selbst Gegenstand und Zweck und jene Notwendigkeit hierdurch sich ebensosehr in Gestalt der Freiheit.
§ 267
Die Notwendigkeit in der Idealität ist die Entwicklung der Idee innerhalb ihrer selbst; sie ist als subjektive Substantialität die politische Gesinnung, als objektive in Unterscheidung von jener der Organismus des Staats, der eigentlich politische Staat und seine Verfassung.
Zusatz. Die Einheit der sich wollenden und wissenden Freiheit ist zunächst als Notwendigkeit. Das Substantielle ist nun hier als subjektive Existenz der Individuen; die andere Weise der Notwendigkeit ist aber der Organismus, das heißt, der Geist ist ein Prozeß in sich selbst, gliedert sich in sich, setzt Unterschiede in sich, durch die er seinen Kreislauf macht.
§ 268
Die politische Gesinnung, der Patriotismus überhaupt, als die in Wahrheit stehende Gewißheit (bloß subjektive Gewißheit geht nicht aus der Wahrheit hervor und ist nur Meinung) und das zur Gewohnheit gewordene Wollen ist nur Resultat der im Staate bestehenden Institutionen, als in welchem die Vernünftigkeit wirklich vorhanden ist, so wie sie durch das ihnen gemäße Handeln ihre Betätigung erhält. - Diese Gesinnung ist überhaupt das Zutrauen (das zu mehr oder weniger gebildeter Einsicht übergehen kann), das Bewußtsein, daß mein substantielles und besonderes Interesse im Interesse und Zwecke eines Anderen (hier des Staats) als im Verhältnis zu mir als Einzelnem bewahrt und enthalten ist, womit eben dieser unmittelbar kein anderer für mich ist und Ich in diesem Bewußtsein frei bin.
Unter Patriotismus wird häufig nur die Aufgelegtheit zu außerordentlichen Aufopferungen und Handlungen verstanden. Wesentlich aber ist er die Gesinnung, welche in dem gewöhnlichen Zustande und Lebensverhältnisse das Gemeinwesen für die substantielle Grundlage und Zweck zu wissen gewohnt ist. Dieses bei dem gewöhnlichen Lebensgange sich in allen Verhältnissen bewährende Bewußtsein ist es dann, aus dem sich auch die Aufgelegtheit zu außergewöhnlicher Anstrengung begründet. Wie aber die Menschen häufig lieber großmütig als rechtlich sind, so überreden sie sich leicht, jenen außerordentlichen Patriotismus zu besitzen, um sich diese wahrhafte Gesinnung zu ersparen oder ihren Mangel zu entschuldigen. - Wenn ferner die Gesinnung als das angesehen wird, das für sich den Anfang machen und aus subjektiven Vorstellungen und Gedanken hervorgehen könne, so wird sie mit der Meinung verwechselt, da sie bei dieser Ansicht ihres wahrhaften Grundes, der objektiven Realität, entbehrt.
Zusatz. Ungebildete Menschen gefallen sich im Räsonieren und Tadeln, denn Tadel finden ist leicht, schwer aber, das Gute und die innere Notwendigkeit desselben zu kennen. Beginnende Bildung fängt immer mit dem Tadel an, vollendete aber sieht in jedem das Positive. In der Religion ist ebensobald gesagt, dies oder jenes sei Aberglauben, aber es ist unendlich schwerer, die Wahrheit davon zu begreifen. Die erscheinende politische Gesinnung ist also von dem zu unterscheiden, was die Menschen wahrhaft wollen, denn sie wollen eigentlich innerlich die Sache, aber sie halten sich an Einzelheiten und gefallen sich in der Eitelkeit des Besserverstehenwollens. Das Zutrauen haben die Menschen, daß der Staat bestehen müsse und in ihm nur das besondere Interesse könne zustande kommen, aber die Gewohnheit macht das unsichtbar, worauf unsere ganze Existenz beruht. Geht jemand zur Nachtzeit sicher auf der Straße, so fällt es ihm nicht ein, daß dieses anders sein könne, denn diese Gewohnheit der Sicherheit ist zur andern Natur geworden, und man denkt nicht gerade nach, wie dies erst die Wirkung besonderer Institutionen sei. Durch die Gewalt, meint die Vorstellung oft, hänge der Staat zusammen; aber das Haltende ist allein das Grundgefühl der Ordnung, das alle haben.
§ 269
Ihren besonders bestimmten Inhalt nimmt die Gesinnung aus den verschiedenen Seiten des Organismus des Staats. Dieser Organismus ist die Entwicklung der Idee zu ihren Unterschieden und zu deren objektiver Wirklichkeit. Diese unterschiedenen Seiten sind so die verschiedenen Gewalten und deren Geschäfte und Wirksamkeiten, wodurch das Allgemeine sich fortwährend, und zwar indem sie durch die Natur des Begriffes bestimmt sind, auf notwendige Weise hervorbringt und, indem es ebenso seiner Produktion vorausgesetzt ist, sich erhält; - dieser Organismus ist die politische Verfassung.
Zusatz. Der Staat ist Organismus, das heißt Entwicklung der Idee zu ihren Unterschieden. Diese unterschiedenen Seiten sind so die verschiedenen Gewalten und deren Geschäfte und Wirksamkeiten, wodurch das Allgemeine sich fortwährend auf notwendige Weise hervorbringt und, indem es eben in seiner Produktion vorausgesetzt ist, sich erhält. Dieser Organismus ist die politische Verfassung; sie geht ewig aus dem Staate hervor, wie er sich durch sie erhält. Fallen beide auseinander, machen sich die unterschiedenen Seiten frei, so ist die Einheit nicht mehr gesetzt, die sie hervorbringt. Es paßt auf sie die Fabel vom Magen und den übrigen Gliedern. Es ist die Natur des Organismus, daß, wenn nicht alle Teile zur Identität übergehen, wenn sich einer als selbständig setzt, alle zugrunde gehen müssen. Mit Prädikaten, Grundsätzen usw. kommt man bei der Beurteilung des Staates nicht fort, der als Organismus gefaßt werden muß, ebensowenig wie durch Prädikate die Natur Gottes begriffen wird, dessen Leben ich vielmehr in sich selber anschauen muß.
§ 270
Daß der Zweck des Staates das allgemeine Interesse als solches und darin als ihrer Substanz die Erhaltung der besonderen Interessen ist, ist 1. seine abstrakte Wirklichkeit oder Substantialität; aber sie ist 2. seine Notwendigkeit, als sie sich in die Begriffsunterschiede seiner Wirksamkeit dirimiert, welche durch jene Substantialität ebenso wirkliche feste Bestimmungen, Gewalten sind; 3. eben diese Substantialität ist aber der als durch die Form der Bildung hindurchgegangene, sich wissende und wollende Geist. Der Staat weiß daher, was er will, und weiß es in seiner Allgemeinheit, als Gedachtes; er wirkt und handelt deswegen nach gewußten Zwecken, gekannten Grundsätzen und nach Gesetzen, die es nicht nur an sich, sondern fürs Bewußtsein sind; und ebenso, insofern seine Handlungen sich auf vorhandene Umstände und Verhältnisse beziehen, nach der bestimmten Kenntnis derselben.
Es ist hier der Ort, das Verhältnis des Staats zur Religion zu berühren, da in neueren Zeiten so oft wiederholt worden ist, daß die Religion die Grundlage des Staates sei, und da diese Behauptung auch mit der Prätention gemacht wird, als ob mit ihr die Wissenschaft des Staats erschöpft sei, - und keine Behauptung mehr geeignet ist, so viele Verwirrung hervorzubringen, ja die Verwirrung selbst zur Verfassung des Staats, zur Form, welche die Erkenntnis haben solle, zu erheben. - Es kann zunächst verdächtig scheinen, daß die Religion vornehmlich auch für die Zeiten öffentlichen Elends, der Zerrüttung und Unterdrückung empfohlen und gesucht und an sie für Trost gegen das Unrecht und für Hoffnung zum Ersatz des Verlustes gewiesen wird. Wenn es dann ferner als eine Anweisung der Religion angesehen wird, gegen die weltlichen Interessen, den Gang und die Geschäfte der Wirklichkeit gleichgültig zu sein, der Staat aber der Geist ist, der in der Welt steht, so scheint die Hinweisung auf die Religion entweder nicht geeignet, das Interesse und Geschäft des Staats zum wesentlichen ernstlichen Zweck zu erheben, oder scheint andererseits im Staatsregiment alles für Sache gleichgültiger Willkür auszugeben, es sei, daß nur die Sprache geführt werde, als ob im Staate die Zwecke der Leidenschaften, unrechtlicher Gewalt usf. das Herrschende wären, oder daß solches Hinweisen auf die Religion weiter für sich allein gelten und das Bestimmen und Handhaben des Rechten in Anspruch nehmen will. Wie es für Hohn angesehen würde, wenn alle Empfindung gegen die Tyrannei damit abgewiesen würde, daß der Unterdrückte seinen Trost in der Religion finde, so ist ebenso nicht zu vergessen, daß die Religion eine Form annehmen kann, welche die härteste Knechtschaft unter den Fesseln des Aberglaubens und die Degradation des Menschen unter das Tier (wie bei den Ägyptern und Indern, welche Tiere als ihre höheren Wesen verehren) zur Folge hat. Diese Erscheinung kann wenigstens darauf aufmerksam machen, daß nicht von der Religion ganz überhaupt zu sprechen sei und gegen sie, wie sie in gewissen Gestalten ist, vielmehr eine rettende Macht gefordert ist, die sich der Rechte der Vernunft und des Selbstbewußtseins annehme. - Die wesentliche Bestimmung aber über das Verhältnis von Religion und Staat ergibt sich nur, indem an ihren Begriff erinnert wird. Die Religion hat die absolute Wahrheit zu ihrem Inhalt, und damit fällt auch das Höchste der Gesinnung in sie. Als Anschauung, Gefühl, vorstellende Erkenntnis, die sich mit Gott, als der uneingeschränkten Grundlage und Ursache, an der alles hängt, beschäftigt, enthält sie die Forderung, daß alles auch in dieser Beziehung gefaßt werde und in ihr seine Bestätigung, Rechtfertigung, Vergewisserung erlange. Staat und Gesetze, wie die Pflichten, erhalten in diesem Verhältnis für das Bewußtsein die höchste Bewährung und die höchste Verbindlichkeit; denn selbst Staat, Gesetze und Pflichten sind in ihrer Wirklichkeit ein Bestimmtes, das in eine höhere Sphäre als in seine Grundlage übergeht (s. Enzyklop. der philos. Wissensch., § 453). Deswegen enthält die Religion auch den Ort, der in aller Veränderung und in dem Verlust wirklicher Zwecke, Interessen und Besitztümer das Bewußtsein des Unwandelbaren und der höchsten Freiheit und Befriedigung gewährt. 91) Wenn nun die Religion so die Grundlage ausmacht, welche das Sittliche überhaupt und näher die Natur des Staats als den göttlichen Willen enthält, so ist es zugleich nur Grundlage, was sie ist, und hier ist es, worin beide auseinandergehen. Der Staat ist göttlicher Wille als gegenwärtiger, sich zur wirklichen Gestalt und Organisation einer Welt entfaltender Geist. - Diejenigen, die bei der Form der Religion gegen den Staat stehenbleiben wollen, verhalten sich wie die, welche in der Erkenntnis das Rechte zu haben meinen, wenn sie nur immer beim Wesen bleiben und von diesem Abstraktum nicht zum Dasein fortgehen, oder wie die (s. oben § 140 Anm.), welche nur das abstrakte Gute wollen und der Willkür das, was gut ist, zu bestimmen vorbehalten. Die Religion ist das Verhältnis zum Absoluten in Form des Gefühls, der Vorstellung, des Glaubens, und in ihrem alles enthaltenden Zentrum ist alles nur als ein Akzidentelles, auch Verschwindendes. Wird an dieser Form auch in Beziehung auf den Staat so festgehalten, daß sie auch für ihn das wesentlich Bestimmende und Gültige sei, so ist er, als der zu bestehenden Unterschieden, Gesetzen und Einrichtungen entwickelte Organismus, dem Schwanken, der Unsicherheit und Zerrüttung preisgegeben. Das Objektive und Allgemeine, die Gesetze, anstatt als bestehend und gültig bestimmt zu sein, erhalten die Bestimmung eines Negativen gegen jene alles Bestimmte einhüllende und eben damit zum Subjektiven werdende Form, und für das Betragen der Menschen ergibt sich die Folge: dem Gerechten ist kein Gesetz gegeben; seid fromm, so könnt ihr sonst treiben, was ihr wollt, - ihr könnt der eigenen Willkür und Leidenschaft euch überlassen und die anderen, die Unrecht dadurch erleiden, an den Trost und die Hoffnung der Religion verweisen oder, noch schlimmer, sie als irreligiös verwerfen und verdammen. Insofern aber dies negative Verhalten nicht bloß eine innere Gesinnung und Ansicht bleibt, sondern sich an die Wirklichkeit wendet und in ihr sich geltend macht, entsteht der religiöse Fanatismus, der, wie der politische, alle Staatseinrichtung und gesetzliche Ordnung als beengende, der inneren, der Unendlichkeit des Gemüts unangemessene Schranken und somit Privateigentum, Ehe, die Verhältnisse und Arbeiten der bürgerlichen Gesellschaft usf. als der Liebe und der Freiheit des Gefühls unwürdig verbannt. Da für wirkliches Dasein und Handeln jedoch entschieden werden muß, so tritt dasselbe ein wie bei der sich als das Absolute wissenden Subjektivität des Willens überhaupt (§ 140), daß aus der subjektiven Vorstellung, d. i. dem Meinen und dem Belieben der Willkür entschieden wird. - Das Wahre aber gegen dieses in die Subjektivität des Fühlens und Vorstellens sich einhüllende Wahre ist der ungeheure Überschritt des Innern in das Äußere, der Einbildung der Vernunft in die Realität, woran die ganze Weltgeschichte gearbeitet und durch welche Arbeit die gebildete Menschheit die Wirklichkeit und das Bewußtsein des vernünftigen Daseins, der Staatseinrichtungen und der Gesetze gewonnen hat. Von denen, die den Herrn suchen und in ihrer ungebildeten Meinung alles unmittelbar zu haben sich versichern, statt sich die Arbeit aufzulegen, ihre Subjektivität zur Erkenntnis der Wahrheit und zum Wissen des objektiven Rechts und der Pflicht zu erheben, kann nur Zertrümmerung aller sittlichen Verhältnisse, Albernheit und Abscheulichkeit ausgehen - notwendige Konsequenzen der auf ihrer Form ausschließend bestehenden und sich so gegen die Wirklichkeit und die in Form des Allgemeinen, der Gesetze, vorhandene Wahrheit wendenden Gesinnung der Religion. Doch ist nicht notwendig, daß diese Gesinnung so zur Verwirklichung fortgehe; sie kann mit ihrem negativen Standpunkt allerdings auch als ein Inneres bleiben, sich den Einrichtungen und Gesetzen fügen und es bei der Ergebung und dem Seufzen oder dem Verachten und Wünschen bewenden lassen. Es ist nicht die Kraft, sondern die Schwäche, welche in unseren Zeiten die Religiosität zu einer polemischen Art von Frömmigkeit gemacht hat, sie hänge nun mit einem wahren Bedürfnis oder auch bloß mit nicht befriedigter Eitelkeit zusammen. Statt sein Meinen mit der Arbeit des Studiums zu bezwingen und sein Wollen der Zucht zu unterwerfen und es dadurch zum freien Gehorsam zu erheben, ist es das Wohlfeilste, auf die Erkenntnis objektiver Wahrheit Verzicht zu tun, ein Gefühl der Gedrücktheit und damit den Eigendünkel zu bewahren und an der Gottseligkeit bereits alle Erfordernis zu haben, um die Natur der Gesetze und der Staatseinrichtungen zu durchschauen, über sie abzusprechen und, wie sie beschaffen sein sollten und müßten, anzugeben, und zwar, weil solches aus einem frommen Herzen komme, auf eine unfehlbare und unantastbare Weise; denn dadurch, daß Absichten und Behauptungen die Religion zur Grundlage machen, könne man ihnen weder nach ihrer Seichtigkeit noch nach ihrer Unrechtlichkeit etwas anhaben. Insofern aber die Religion, wenn sie wahrhafter Art ist, ohne solche negative und polemische Richtung gegen den Staat ist, ihn vielmehr anerkennt und bestätigt, so hat sie ferner für sich ihren Zustand und ihre Äußerung. Das Geschäft ihres Kultus besteht in Handlungen und Lehre; sie bedarf dazu Besitztümer und Eigentums sowie dem Dienste der Gemeinde gewidmeter Individuen. Es entsteht damit ein Verhältnis von Staat und Kirchengemeinde. Die Bestimmung dieses Verhältnisses ist einfach. Es ist in der Natur der Sache, daß der Staat eine Pflicht erfüllt, der Gemeinde für ihren religiösen Zweck: allen Vorschub zu tun und Schutz zu gewähren, ja, indem die Religion das ihn für das Tiefste der Gesinnung integrierende Moment ist, von allen seinen Angehörigen zu fordern, daß sie sich zu einer Kirchengemeinde halten, - übrigens zu irgendeiner, denn auf den Inhalt, insofern er sich auf das Innere der Vorstellung bezieht, kann sich der Staat nicht einlassen. Der in seiner Organisation ausgebildete und darum starke Staat kann sich hierin desto liberaler verhalten, Einzelheiten, die ihn berührten, ganz übersehen und selbst Gemeinden (wobei es freilich auf die Anzahl ankommt) in sich aushalten, welche selbst die direkten Pflichten gegen ihn religiös nicht anerkennen, indem er nämlich die Mitglieder derselben der bürgerlichen Gesellschaft unter deren Gesetzen überläßt und mit passiver, etwa durch Verwandlung und Tausch vermittelter Erfüllung der direkten Pflichten gegen ihn zufrieden ist. 92) - Insofern aber die kirchliche Gemeinde Eigentum besitzt, sonstige Handlungen des Kultus ausübt und Individuen dafür im Dienste hat, tritt sie aus dem Innern in das Weltliche und damit in das Gebiet des Staats herüber und stellt sich dadurch unmittelbar unter seine Gesetze. Der Eid, das Sittliche überhaupt, wie das Verhältnis der Ehe führen zwar die innere Durchdringung und die Erhebung der Gesinnung mit sich, welche durch die Religion ihre tiefste Vergewisserung erhält; indem die sittlichen Verhältnisse wesentlich Verhältnisse der wirklichen Vernünftigkeit sind, so sind es die Rechte dieser, welche darin zuerst zu behaupten sind und zu welchen die kirchliche Vergewisserung als die nur innere, abstraktere Seite hinzutritt. - In Ansehung weiterer Äußerungen, die von der kirchlichen Vereinigung ausgehen, so ist bei der Lehre das Innere gegen das Äußere das Überwiegendere als bei den Handlungen des Kultus und anderen damit zusammenhängenden Benehmungen, wo die rechtliche Seite wenigstens sogleich für sich als Sache des Staats erscheint (wohl haben sich Kirchen auch die Exemtion ihrer Diener und ihres Eigentums von der Macht und Gerichtsbarkeit des Staates, sogar die Gerichtsbarkeit über weltliche Personen in Gegenständen, bei denen wie Ehescheidungssachen, Eidesangelegenheiten usf. die Religion konkurriert, genommen). - Die polizeiliche Seite in Rücksicht solcher Handlungen ist freilich unbestimmter, aber dies liegt in der Natur dieser Seite ebenso auch gegen andere ganz bürgerliche Handlungen (s. oben § 234). Insofern die religiöse Gemeinschaftlichkeit von Individuen sich zu einer Gemeinde, einer Korporation erhebt, steht sie überhaupt unter der oberpolizeilichen Oberaufsicht des Staats. - Die Lehre selbst aber hat ihr Gebiet in dem Gewissen, steht in dem Rechte der subjektiven Freiheit des Selbstbewußtseins - der Sphäre der Innerlichkeit, die als solche nicht das Gebiet des Staates ausmacht. Jedoch hat auch der Staat eine Lehre, da seine Einrichtungen und das ihm Geltende überhaupt über das Rechtliche, Verfassung usf. wesentlich in der Form des Gedankens als Gesetz ist, und indem er kein Mechanismus, sondern das vernünftige Leben der selbstbewußten Freiheit, das System der sittlichen Welt ist, so ist die Gesinnung, sodann das Bewußtsein derselben in Grundsätzen ein wesentliches Moment im wirklichen Staate. Hinwiederum ist die Lehre der Kirche nicht bloß ein Inneres des Gewissens, sondern als Lehre vielmehr Äußerung, und Äußerung zugleich über einen Inhalt, der mit den sittlichen Grundsätzen und Staatsgesetzen aufs innigste zusammenhängt oder sie unmittelbar selbst betrifft. Staat und Kirche treffen also hier direkt zusammen oder gegeneinander. Die Verschiedenheit beider Gebiete kann von der Kirche zu dem schroffen Gegensatz getrieben werden, daß sie, als den absoluten Inhalt der Religion in sich enthaltend, das Geistige überhaupt und damit auch das sittliche Element als ihren Teil betrachtet, den Staat aber als ein mechanisches Gerüst für die ungeistigen äußerlichen Zwecke, sich als das Reich Gottes oder wenigstens als den Weg und Vorplatz dazu, den Staat aber als das Reich der Welt, d. i. des Vergänglichen und Endlichen, sich damit als den Selbstzweck, den Staat aber nur als bloßes Mittel begreift. Mit dieser Prätention verbindet sich dann in Ansehung des Lehrens die Forderung, daß der Staat die Kirche darin nicht nur mit vollkommener Freiheit gewähren lasse, sondern unbedingten Respekt vor ihrem Lehren, wie es auch beschaffen sein möge, denn diese Bestimmung komme nur ihr zu, als Lehren habe. Wie die Kirche zu dieser Prätention aus dem ausgedehnten Grunde, daß das geistige Element überhaupt ihr Eigentum sei, kommt, die Wissenschaft und Erkenntnis überhaupt aber gleichfalls in diesem Gebiete steht, für sich wie eine Kirche sich zur Totalität von eigentümlichem Prinzipe ausbildet, welche sich auch als an die Stelle der Kirche selbst noch mit größerer Berechtigung tretend betrachten kann, so wird dann für die Wissenschaft dieselbe Unabhängigkeit vom Staate, der nur als ein Mittel für sie als einen Selbstzweck zu sorgen habe, verlangt. - Es ist für dieses Verhältnis übrigens gleichgültig, ob die dem Dienste der Gemeinde sich widmenden Individuen und Vorsteher es etwa zu einer vom Staate ausgeschiedenen Existenz getrieben haben, so daß nur die übrigen Mitglieder dem Staate unterworfen sind, oder sonst im Staate stehen und ihre kirchliche Bestimmung nur eine Seite ihres Standes sei, welche sie gegen den Staat getrennt halten. Zunächst ist zu bemerken, daß ein solches Verhältnis mit der Vorstellung vom Staat zusammenhängt, nach welcher er seine Bestimmung nur hat im Schutz und Sicherheit des Lebens, Eigentums und der Willkür eines jeden, insofern sie das Leben und Eigentum und die Willkür der anderen nicht verletzt, und der Staat so nur als eine Veranstaltung der Not betrachtet wird. Das Element des höheren Geistigen, des an und für sich Wahren, ist auf diese Weise als subjektive Religiosität oder als theoretische Wissenschaft jenseits des Staates gestellt, der, als der Laie an und für sich, nur zu respektieren habe, und das eigentliche Sittliche fällt so bei ihm ganz aus. Daß es nun geschichtlich Zeiten und Zustände von Barbarei gegeben, wo alles höhere Geistige in der Kirche seinen Sitz hatte und der Staat nur ein weltliches Regiment der Gewalttätigkeit, der Willkür und Leidenschaft und jener abstrakte Gegensatz das Hauptprinzip der Wirklichkeit war (s. § 358), gehört in die Geschichte. Aber es ist ein zu blindes und seichtes Verfahren, diese Stellung als die wahrhaft der Idee gemäße anzugeben. Die Entwicklung dieser Idee hat vielmehr dies als die Wahrheit erwiesen, daß der Geist, als frei und vernünftig, an sich sittlich ist, und die wahrhafte Idee die wirkliche Vernünftigkeit, und diese es ist, welche als Staat existiert. Es ergab sich ferner aus dieser Idee ebensosehr, daß die sittliche Wahrheit in derselben für das denkende Bewußtsein als in die Form der Allgemeinheit verarbeiteter Inhalt, als Gesetz, ist, - der Staat überhaupt seine Zwecke weiß, sie mit bestimmtem Bewußtsein und nach Grundsätzen erkennt und betätigt. Wie oben bemerkt ist, hat nun die Religion das Wahre zu ihrem allgemeinen Gegenstande, jedoch als einen gegebenen Inhalt, der in seinen Grundbestimmungen nicht durch Denken und Begriffe erkannt ist; ebenso ist das Verhältnis des Individuums zu diesem Gegenstande eine auf Autorität gegründete Verpflichtung, und das Zeugnis des eigenen Geistes und Herzens, als worin das Moment der Freiheit enthalten ist, ist Glaube und Empfindung. Es ist die philosophische Einsicht, welche erkennt, daß Kirche und Staat nicht im Gegensatze des Inhalts der Wahrheit und Vernünftigkeit, aber im Unterschied der Form stehen. Wenn daher die Kirche in das Lehren übergeht (es gibt und gab auch Kirchen, die nur einen Kultus haben; andere, worin er die Hauptsache und das Lehren und das gebildetere Bewußtsein nur Nebensache ist) und ihr Lehren objektive Grundsätze, die Gedanken des Sittlichen und Vernünftigen betrifft, so geht sie in dieser Äußerung unmittelbar in das Gebiet des Staats herüber. Gegen ihren Glauben und ihre Autorität über das Sittliche, Recht, Gesetze, Institutionen, gegen ihre subjektive Überzeugung ist der Staat vielmehr das Wissende; in seinem Prinzip bleibt wesentlich der Inhalt nicht in der Form des Gefühls und Glaubens stehen, sondern gehört dem bestimmten Gedanken an. Wie der an und für sich seiende Inhalt in der Gestalt der Religion als besonderer Inhalt, als die der Kirche als religiöser Gemeinschaft eigentümlichen Lehren, erscheint, so bleiben sie außer dem Bereiche des Staats (im Protestantismus gibt es auch keine Geistlichkeit, welche ausschließender Depositär der kirchlichen Lehre wäre, weil es in ihm keine Laien gibt). Indem sich die sittlichen Grundsätze und die Staatsordnung überhaupt in das Gebiet der Religion herüberziehen und nicht nur in Beziehung darauf setzen lassen, sondern auch gesetzt werden sollen, so gibt diese Beziehung einerseits dem Staate selbst die religiöse Beglaubigung; andererseits bleibt ihm das Recht und die Form der selbstbewußten, objektiven Vernünftigkeit, das Recht, sie geltend zu machen und gegen Behauptungen, die aus der subjektiven Gestalt der Wahrheit entspringen, mit welcher Versicherung und Autorität sie sich auch umgebe, zu behaupten. Weil das Prinzip seiner Form als Allgemeines wesentlich der Gedanke ist, so ist es auch geschehen, daß von seiner Seite die Freiheit des Denkens und der Wissenschaft ausgegangen ist (und eine Kirche hat vielmehr den Giordano Bruno verbrannt, den Galilei wegen der Darstellung des Kopernikanischen Sonnensystems auf den Knien Abbitte tun lassen usf. 93) ). Auf seiner Seite hat darum auch die Wissenschaft ihre Stelle; denn sie hat dasselbe Element der Form als der Staat, sie hat den Zweck des Erkennens, und zwar der gedachten objektiven Wahrheit und Vernünftigkeit. Das denkende Erkennen kann zwar auch aus der Wissenschaft in das Meinen und in das Räsonieren aus Gründen herunterfallen, sich auf sittliche Gegenstände und die Staatsorganisation wendend in Widerspruch gegen deren Grundsätze sich setzen, und dies etwa auch mit denselben Prätentionen, als die Kirche für ihr Eigentümliches macht, auf dies Meinen als auf Vernunft und das Recht des subjektiven Selbstbewußtseins, in seiner Meinung und Überzeugung frei zu sein. Das Prinzip dieser Subjektivität des Wissens ist oben (§ 140 Anm.) betrachtet worden; hierher gehört nur die Bemerkung, daß nach einer Seite der Staat gegen das Meinen - eben insofern es nur Meinung, ein subjektiver Inhalt ist und darum, es spreize sich noch so hoch auf, keine wahre Kraft und Gewalt in sich hat -, ebenso wie die Maler, die sich auf ihrer Palette an die drei Grundfarben halten, gegen die Schulweisheit von den sieben Grundfarben, eine unendliche Gleichgültigkeit ausüben kann. Nach der andern Seite aber hat der Staat gegen dies Meinen schlechter Grundsätze, indem es sich zu einem allgemeinen und die Wirklichkeit anfressenden Dasein macht, ohnehin insofern der Formalismus der unbedingten Subjektivität den wissenschaftlichen Ausgangspunkt zu seinem Grunde nehmen und die Lehrveranstaltungen des Staates selbst zu der Prätention einer Kirche gegen ihn erheben und kehren wollte, die objektive Wahrheit und die Grundsätze des sittlichen Lebens in Schutz zu nehmen, so wie er im ganzen gegen die eine unbeschränkte und unbedingte Autorität ansprechende Kirche umgekehrt das formelle Recht des Selbstbewußtseins auf die eigene Einsicht, Überzeugung und überhaupt Denken dessen, was als objektive Wahrheit gelten soll, geltend zu machen hat. Die Einheit des Staats und der Kirche, eine auch in neuen Zeiten viel besprochene und als höchstes Ideal aufgestellte Bestimmung, kann noch erwähnt werden. Wenn die wesentliche Einheit derselben die der Wahrheit der Grundsätze und Gesinnung ist, so ist ebenso wesentlich, daß mit dieser Einheit der Unterschied, den sie in der Form ihres Bewußtseins haben, zur besonderen Existenz gekommen sei. Im orientalischen Despotismus ist jene so oft gewünschte Einheit der Kirche und des Staats - aber damit ist der Staat nicht vorhanden - nicht die selbstbewußte, des Geistes allein würdige Gestaltung in Recht, freier Sittlichkeit und organischer Entwicklung. - Damit ferner der Staat als die sich wissende, sittliche Wirklichkeit des Geistes zum Dasein komme, ist seine Unterscheidung von der Form der Autorität und des Glaubens notwendig; diese Unterscheidung tritt aber nur hervor, insofern die kirchliche Seite in sich selbst zur Trennung kommt; nur so, über den besonderen Kirchen, hat der Staat die Allgemeinheit des Gedankens, das Prinzip seiner Form, gewonnen und bringt sie zur Existenz; um dies zu erkennen, muß man wissen, nicht nur was die Allgemeinheit an sich, sondern was ihre Existenz ist. Es ist daher so weit gefehlt, daß für den Staat die kirchliche Trennung ein Unglück wäre oder gewesen wäre, daß er nur durch sie hat werden können, was seine Bestimmung ist, die selbstbewußte Vernünftigkeit und Sittlichkeit. Ebenso ist es das Glücklichste, was der Kirche für ihre eigene und was dem Gedanken für seine Freiheit und Vernünftigkeit hat widerfahren können.
Zusatz. Der Staat ist wirklich, und seine Wirklichkeit besteht darin, daß das Interesse des Ganzen sich in die besonderen Zwecke realisiert. Wirklichkeit ist immer Einheit der Allgemeinheit und Besonderheit, das Auseinandergelegtsein der Allgemeinheit in die Besonderheit, die als eine selbständige erscheint, obgleich sie nur im Ganzen getragen und gehalten wird. Insofern diese Einheit nicht vorhanden ist, ist etwas nicht wirklich, wenn auch Existenz angenommen werden dürfte. Ein schlechter Staat ist ein solcher, der bloß existiert; ein kranker Körper existiert auch, aber er hat keine wahrhafte Realität. Eine Hand, die abgehauen ist, sieht auch noch aus wie eine Hand und existiert, doch ohne wirklich zu sein; die wahrhafte Wirklichkeit ist Notwendigkeit: was wirklich ist, ist in sich notwendig. Die Notwendigkeit besteht darin, daß das Ganze in die Begriffsunterschiede dirimiert sei und daß dieses Dirimierte eine feste und aushaltende Bestimmtheit abgebe, die nicht totfest ist, sondern in der Auflösung sich immer erzeugt. Zum vollendeten Staat gehört wesentlich das Bewußtsein, das Denken; der Staat weiß daher, was er will, und weiß es als ein Gedachtes. Indem das Wissen nun im Staate seinen Sitz hat, hat ihn auch die Wissenschaft hier und nicht in der Kirche. Trotzdem ist in neueren Zeiten viel davon gesprochen worden, daß der Staat aus der Religion hervorzusteigen habe. Der Staat ist der entwickelte Geist und stellt seine Momente an den Tag des Bewußtseins heraus; dadurch, daß das, was in der Idee liegt, heraus in die Gegenständlichkeit tritt, erscheint der Staat als ein Endliches, und so zeigt sich derselbe als ein Gebiet der Weltlichkeit, während die Religion sich als ein Gebiet der Unendlichkeit darstellt. Der Staat scheint somit das Untergeordnete, und weil das Endliche nicht für sich bestehen kann, so, heißt es, brauche dasselbe die Basis der Kirche. Als Endliches habe es keine Berechtigung, und erst durch die Religion werde es heilig und dem Unendlichen angehörend. Aber diese Betrachtung der Sache ist nur höchst einseitig. Der Staat ist allerdings wesentlich weltlich und endlich, hat besondere Zwecke und besondere Gewalten, aber daß der Staat weltlich ist, ist nur die eine Seite, und nur der geistlosen Wahrnehmung ist der Staat bloß endlich. Denn der Staat hat eine belebende Seele, und dies Beseelende ist die Subjektivität, die eben Erschaffen der Unterschiede, aber andererseits das Erhalten in der Einheit ist. Im religiösen Reiche sind auch Unterschiede und Endlichkeiten. Gott, heißt es, sei dreieinig: da sind also drei Bestimmungen, deren Einheit erst der Geist ist. Wenn man daher die göttliche Natur konkret faßt, so ist dies auch nur durch Unterschiede der Fall. Im göttlichen Reiche kommen also Endlichkeiten wie im Weltlichen vor, und daß der weltliche Geist, das heißt der Staat, nur ein endlicher sei, ist eine einseitige Ansicht, denn die Wirklichkeit ist nichts Unvernünftiges. Ein schlechter Staat freilich ist nur weltlich und endlich, aber der vernünftige Staat ist unendlich in sich. Das zweite ist, daß man sagt, der Staat habe seine Rechtfertigung in der Religion zu nehmen. Die Idee, als in der Religion, ist Geist im Innern des Gemüts, aber dieselbe Idee ist es, die sich in dem Staate Weltlichkeit gibt und sich im Wissen und Wollen ein Dasein und eine Wirklichkeit verschafft. Sagt man nun, der Staat müsse auf Religion sich gründen, so kann dies heißen, derselbe solle auf Vernünftigkeit beruhen und aus ihr hervorgehen. Aber dieser Satz kann auch so mißverstanden werden, daß die Menschen, deren Geist durch eine unfreie Religion gebunden ist, dadurch zum Gehorsam am geschicktesten seien. Die christliche Religion aber ist die Religion der Freiheit. Diese kann freilich wieder eine Wendung bekommen, daß die freie zur unfreien verkehrt wird, indem sie vom Aberglauben behaftet ist. Meint man nun dies, daß die Individuen Religion haben müssen, damit ihr gebundener Geist im Staate desto mehr unterdrückt werden könne, so ist dies der schlimme Sinn des Satzes; meint man, daß die Menschen Achtung vor dem Staat, vor diesem Ganzen, dessen Zweige sie sind, haben sollen, so geschieht dies freilich am besten durch die philosophische Einsicht in das Wesen desselben; aber es kann in Ermangelung dieser auch die religiöse Gesinnung dahin führen. So kann der Staat der Religion und des Glaubens bedürfen. Wesentlich aber bleibt der Staat von der Religion dadurch unterschieden, daß, was er fordert, die Gestalt einer rechtlichen Pflicht hat und daß es gleichgültig ist, in welcher Gemütsweise [sie] geleistet wird. Das Feld der Religion dagegen ist die Innerlichkeit, und so wie der Staat, wenn er auf religiöse Weise forderte, das Recht der Innerlichkeit gefährden würde, so artet die Kirche, die wie ein Staat handelt und Strafen auferlegt, in eine tyrannische Religion aus. Ein dritter Unterschied, der hiermit zusammenhängt, ist, daß der Inhalt der Religion ein eingehüllter ist und bleibt und somit Gemüt, Empfindung und Vorstellung der Boden ist, worauf er seinen Platz hat. Auf diesem Boden hat alles die Form der Subjektivität, der Staat hingegen verwirklicht sich und gibt seinen Bestimmungen festes Dasein. Wenn nun die Religiosität im Staate sich geltend machen wollte, wie sie gewohnt ist, auf ihrem Boden zu sein, so würde sie die Organisation des Staates umwerfen, denn im Staate haben die Unterschiede eine Breite des Außereinander; in der Religion dagegen ist immer alles auf die Totalität bezogen. Wollte nun diese Totalität alle Beziehungen des Staates ergreifen, so wäre sie Fanatismus; sie wollte in jedem Besonderen das Ganze haben und könnte es nicht anders als durch Zerstörung des Besonderen, denn der Fanatismus ist nur das, die besonderen Unterschiede nicht gewähren zu lassen. Wenn man sich so ausdrückt, "den Frommen sei kein Gesetz gegeben", so ist dies weiter nichts als der Ausspruch jenes Fanatismus. Denn die Frömmigkeit, wo sie an die Stelle des Staates tritt, kann das Bestimmte nicht aushalten und zertrümmert es. Damit hängt ebenso zusammen, wenn die Frömmigkeit das Gewissen, die Innerlichkeit, entscheiden läßt und nicht von Gründen bestimmt wird. Diese Innerlichkeit entwickelt sich nicht zu Gründen und gibt sich keine Rechenschaft. Soll also die Frömmigkeit als Wirklichkeit des Staates gelten, so sind alle Gesetze über den Haufen geworfen, und das subjektive Gefühl ist das gesetzgebende. Dieses Gefühl kann bloße Willkür sein, und ob dies sei, muß lediglich aus den Handlungen erkannt werden; aber insofern sie Handlungen, Gebote werden, nehmen sie die Gestalt von Gesetzen an, was gerade jenem subjektiven Gefühl widerspricht. Gott, der der Gegenstand dieses Gefühls ist, könnte man auch zum Bestimmenden machen, aber Gott ist die allgemeine Idee und in diesem Gefühl das Unbestimmte, das nicht dahin gereift ist, das zu bestimmen, was im Staate als entwickelt da ist. Gerade daß im Staate alles fest und gesichert ist, ist die Schanze gegen die Willkür und die positive Meinung. Die Religion als solche darf also nicht das Regierende sein.
§ 271
Die politische Verfassung ist fürs erste: die Organisation des Staates und der Prozeß seines organischen Lebens in Beziehung auf sich selbst, in welcher er seine Momente innerhalb seiner selbst unterscheidet und sie zum Bestehen entfaltet. Zweitens ist er als eine Individualität ausschließendes Eins, welches sich damit zu anderen verhält, seine Unterscheidung also nach außen kehrt und nach dieser Bestimmung seine bestehenden Unterschiede innerhalb seiner selbst in ihrer Idealität setzt.
Zusatz. Wie die Irritabilität im lebendigen Organismus selbst nach einer Seite ein Innerliches, dem Organismus als solchem Angehörendes ist, so ist auch hier der Bezug nach außen eine Richtung auf die Innerlichkeit. Der innerliche Staat als solcher ist die Zivilgewalt, die Richtung nach außen die Militärgewalt, die aber im Staate eine bestimmte Seite in ihm selbst ist. Daß nun beide Seiten im Gleichgewichte sich befinden, macht eine Hauptsache in der Gesinnung des Staates aus. Bisweilen ist die Zivilgewalt ganz erloschen und beruht nur auf der Militärgewalt, wie zur Zeit der römischen Kaiser und der Prätorianer; bisweilen ist, wie in modernen Zeiten, die Militärgewalt nur aus der Zivilgewalt hervorgehend, wenn alle Bürger waffenpflichtig sind.
91) *Die Religion hat wie die Erkenntnis und Wissenschaft eine eigentümliche, von der des Staates verschiedene Form zu ihrem Prinzip; sie treten daher in den Staat ein, teils im Verhältnis von Mitteln der Bildung und Gesinnung, teils, insofern sie wesentlich Selbstzwecke sind, nach der Seite, daß sie äußerliches Dasein haben. In beiden Rücksichten verhalten sich die Prinzipien des Staates anwendend auf sie; in einer vollständig konkreten Abhandlung vom Staate müssen jene Sphären, so wie die Kunst, die bloß natürlichen Verhältnisse usf., gleichfalls in der Beziehung und Stellung, die sie im Staate haben, betrachtet werden; aber hier in dieser Abhandlung, wo es das Prinzip des Staats ist, das in seiner eigentümlichen Sphäre nach seiner Idee durchgeführt wird, kann von ihren Prinzipien und der Anwendung des Rechts des Staats auf sie nur beiläufig gesprochen werden.
92) *Von Quäkern, Wiedertäufern usf. kann man sagen, daß sie nur aktive Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind und als Privatpersonen nur im Privatverkehr mit anderen stehen, und selbst in diesem Verhältnisse hat man ihnen den Eid erlassen; die direkten Pflichten gegen den Staat erfüllen sie auf eine passive Weise, und von einer der wichtigsten Pflichten, ihn gegen Feinde zu verteidigen, die sie direkt verleugnen, wird etwa zugegeben, sie durch Tausch gegen andere Leistung zu erfüllen. Gegen solche Sekten ist es im eigentlichen Sinne der Fall daß der Staat Toleranz ausübt; denn da sie die Pflichten gegen ihn nicht anerkennen, können sie auf das Recht, Mitglieder desselben zu sein, nicht Anspruch machen. Als einst im nordamerikanischen Kongreß die Abschaffung der Sklaverei der Neger mit größerem Nachdruck betrieben wurde, machte ein Deputierter aus den südlichen Provinzen die treffende Erwiderung: "Gebt uns die Neger zu, wir geben euch die Quäker zu." - Nur durch seine sonstige Stärke kann der Staat solche Anomalien übersehen und dulden und sich dabei vornehmlich auf die Macht der Sitten und der inneren Vernünftigkeit seiner Institutionen verlassen, daß diese, indem er seine Rechte hierin nicht strenge geltend macht, die Unterscheidung vermindern und überwinden werde. So formelles Recht man etwa gegen die Juden in Ansehung der Verleihung selbst von bürgerlichen Rechten gehabt hätte, indem sie sich nicht bloß als eine besondere Religionspartei, sondern als einem fremden Volke angehörig ansehen sollten, so sehr hat das aus diesen und anderen Gesichtspunkten erhobene Geschrei übersehen, daß sie zuallererst Menschen sind und daß dies nicht nur eine flache, abstrakte Qualität ist (§ 209 Anm.), sondern daß darin liegt, daß durch die zugestandenen bürgerlichen Rechte vielmehr das Selbstgefühl, als rechtliche Personen in der bürgerlichen Gesellschaft zu gelten, und aus dieser unendlichen, von allem anderen freien Wurzel die verlangte Ausgleichung der Denkungsart und Gesinnung zustande kommt. Die den Juden vorgeworfene Trennung hätte sich vielmehr erhalten und wäre dem ausschließenden Staate mit Recht zur Schuld und Vorwurf geworden; denn er hätte damit sein Prinzip, die objektive Institution und deren Macht verkannt (vgl. § 268 Anm. am Ende). Die Behauptung dieser Ausschließung, indem sie aufs höchste recht zu haben vermeinte, hat sich auch in der Erfahrung am törichtsten, die Handlungsart der Regierungen hingegen als das Weise und Würdige erwiesen.
93) *Laplace, Darstellung des Weltsystems [Exposition du système du monde, Paris 1796], V. Buch, 4. Kap. "Da Galilei die Entdeckungen (zu denen ihm das Teleskop verhalf, die Lichtgestalten der Venus usf.) bekannt machte, zeigte er zugleich, daß sie die Bewegungen der Erde unwidersprechlich bewiesen. Aber die Vorstellung dieser Bewegung wurde durch eine Versammlung der Kardinäle für ketzerisch erklärt, Galilei, ihr berühmtester Verteidiger, vor das Inquisitionsgericht gefordert und genötigt, sie zu widerrufen, um einem harten Gefängnis zu entgehen. Bei dem Manne von Geist ist die Leidenschaft für die Wahrheit eine der stärksten Leidenschaften. Galilei, durch seine eigenen Beobachtungen von der Bewegung der Erde überzeugt, dachte lange Zeit auf ein neues Werk, worin er alle Beweise dafür zu entwickeln sich vorgenommen hatte; aber um sich zugleich der Verfolgung zu entziehen, deren Opfer er hätte werden müssen, wählte er die Auskunft, sie in der Form von Dialogen zwischen drei Personen darzustellen. Man sieht wohl, daß der Vorteil auf der Seite des Verteidigers des Kopernikanischen Systems war; da aber Galilei nicht zwischen ihnen entschied und den Einwürfen der Anhänger des Ptolemäus soviel Gewicht gab, als nur möglich war, so durfte er wohl erwarten, im Genusse der Ruhe, die sein hohes Alter und seine Arbeiten verdienten, nicht gestört zu werden. Er wurde in seinem siebzigsten Jahre aufs neue vor das Inquisitionstribunal gefordert; man schloß ihn in ein Gefängnis ein, wo man eine zweite Widerrufung seiner Meinungen von ihm forderte, unter Androhung der für die wieder abgefallenen Ketzer bestimmten Strafe. Man ließ ihn folgende Abschwörungsformel unterschreiben: 'Ich Galilei, der ich in meinem siebzigsten Jahre mich persönlich vor dem Gerichte eingefunden, auf den Knien liegend und die Augen auf die heiligen Evangelien, die ich mit meinen Händen berühre, gerichtet, schwöre ab, verfluche und verwünsche mit redlichem Herzen und wahrem Glauben die Ungereimtheit, Falschheit und Ketzerei der Lehre von der Bewegung der Erde usf.' Welch ein Anblick war das, einen ehrwürdigen Greis, berühmt durch ein langes, der Erforschung der Natur einzig gewidmetes Leben, gegen das Zeugnis seines eigenen Gewissens die Wahrheit, die er mit Überzeugungskraft erwiesen hatte, auf den Knien abschwören zu sehen. Ein Urteil der Inquisition verdammte ihn zu immerwährender Gefangenschaft. Ein Jahr hernach wurde er, auf die Verwendung des Großherzogs von Florenz, in Freiheit gesetzt. Er starb 1642. Seinen Verlust betrauerte Europa, das durch seine Arbeiten erleuchtet und über das von einem verhaßten Tribunale gegen einen so großen Mann gefällte Urteil aufgebracht war." [dt. Übers. von 1797]
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