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Georg
Wilhelm Friedrich
Hegel
Grundlinien der Philosophie des Rechts

Übersicht

Vorrede
Einleitung
Einteilung

Erster Teil. Das abstrakte Recht

Erster Abschnitt. Das Eigentum
A. Besitznahme
B. Der Gebrauch der Sache
C. Entäußerung des Eigentums
 Übergang vom Eigentum zum Vertrage
Zweiter Abschnitt. Der Vertrag
Dritter Abschnitt. Das Unrecht
A. Unbefangenes Unrecht
B. Betrug
C. Zwang und Verbrechen
Übergang vom Recht in Moralität

Zweiter Teil. Die Moralität
Erster Abschnitt. Der Vorsatz und die Schuld
Zweiter Abschnitt. Die Absicht und das Wohl
Dritter Abschnitt. Das Gute und das Gewissen
Übergang von der Moralität in Sittlichkeit

Dritter Teil. Die Sittlichkeit
Erster Abschnitt. Die Familie
A. Die Ehe
B. Das Vermögen der Familie
C. Die Erziehung der Kinder und die Auflösung der Familie
Übergang der Familie in die bürgerliche Gesellschaft
Zweiter Abschnitt. Die bürgerliche Gesellschaft
A. Das System der Bedürfnisse
a. Die Art des Bedürfnisses und der Befriedigung
c. Das Vermögen
B. Die Rechtspflege
a. Das Recht als Gesetz
b. Das Dasein des Gesetzes
c. Das Gericht
C. Die Polizei und Korporation
a. Die Polizei
b. Die Korporation
Dritter Abschnitt. Der Staat
A. Das innere Staatsrecht
I. Innere Verfassung für sich
a. Die fürstliche Gewalt
b. Die Regierungsgewalt
c. Die gesetzgebende Gewalt
II. Die Souveränität gegen außen
B. Das äußere Staatsrecht
C. Die Weltgeschichte
 Vier Prinzipien
 

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 HEGEL
 Quell- und Volltexte

Quellen:

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 7, Frankfurt a. M. 1979, S. 11.

Erstdruck: Berlin (Nicolai) 1820, vordatiert auf 1821.

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a. Die Polizei

§ 231

Die sichernde Macht des Allgemeinen bleibt zunächst, insofern für den einen oder anderen Zweck der besondere Wille noch das Prinzip ist, teils auf den Kreis der Zufälligkeiten beschränkt, teils eine äußere Ordnung

§ 232

Außer den Verbrechen, welche die allgemeine Macht zu verhindern oder zur gerichtlichen Behandlung zu bringen hat - der Zufälligkeit als Willkür des Bösen -, hat die erlaubte Willkür für sich rechtlicher Handlungen und des Privatgebrauchs des Eigentums auch äußerliche Beziehungen auf andere Einzelne sowie auf sonstige öffentliche Veranstaltungen eines gemeinsamen Zwecks.
Durch diese allgemeine Seite werden Privathandlungen eine Zufälligkeit, die aus meiner Gewalt tritt und den anderen zum Schaden und Unrecht gereichen kann oder gereicht.

§ 233

Dies ist zwar nur eine Möglichkeit des Schadens, aber daß die Sache nichts schadet, ist als eine Zufälligkeit gleichfalls nicht mehr; dies ist die Seite des Unrechts, die in solchen Handlungen liegt, somit der letzte Grund der polizeilichen Strafgerechtigkeit.

§ 234

Die Beziehungen des äußerlichen Daseins fallen in die Verstandes-Unendlichkeit; es ist daher keine Grenze an sich vorhanden, was schädlich oder nicht schädlich, auch in Rücksicht auf Verbrechen, was verdächtig oder unverdächtig sei, was zu verbieten oder zu beaufsichtigen oder mit Verboten, Beaufsichtigung und Verdacht, Nachfrage und Rechenschaftgebung verschont zu lassen sei. Es sind die Sitten, der Geist der übrigen Verfassung, der jedesmalige Zustand, die Gefahr des Augenblicks usf., welche die näheren Bestimmungen geben.

Zusatz.
Es sind hier keine festen Bestimmungen zu geben und keine absoluten Grenzen zu ziehen. Alles ist hier persönlich; das subjektive Meinen tritt ein, und der Geist der Verfassung, die Gefahr der Zeit haben die näheren Umstände mitzuteilen. In Kriegszeiten ist z. B. manches sonst Unschädliche als schädlich anzusehen. Durch diese Seiten der Zufälligkeit und willkürlichen Persönlichkeit erhält die Polizei etwas Gehässiges. Sie kann bei sehr gebildeter Reflexion die Richtung nehmen, alles Mögliche in ihr Bereich zu ziehen, denn in allem läßt sich eine Beziehung finden, durch die etwas schädlich werden könnte. Darin kann die Polizei sehr pedantisch zu Werke gehen und das gewöhnliche Leben der Individuen genieren. Aber welcher Übelstand dies auch ist, eine objektive Grenzlinie kann hier nicht gezogen werden.

§ 235

In der unbestimmten Vervielfältigung und Verschränkung der täglichen Bedürfnisse ergeben sich in Rücksicht auf die Herbeischaffung und den Umtausch der Mittel ihrer Befriedigung, auf deren ungehinderte Möglichkeit sich jeder verläßt, sowie in Rücksicht der darüber sosehr als möglich abzukürzenden Untersuchungen und Verhandlungen Seiten, die ein gemeinsames Interesse sind und zugleich für alle das Geschäft von einem, - und Mittel und Veranstaltungen, welche für gemeinschaftlichen Gebrauch sein können. Diese allgemeinen Geschäfte und gemeinnützigen Veranstaltungen fordern die Aufsicht und Vorsorge der öffentlichen Macht.

§ 236

Die verschiedenen Interessen der Produzenten und Konsumenten können in Kollision miteinander kommen, und wenn sich zwar das richtige Verhältnis im Ganzen von selbst herstellt, so bedarf die Ausgleichung auf einer über beiden stehenden, mit Bewußtsein vorgenommenen Regulierung. Das Recht zu einer solchen für das Einzelne (z. B. Taxation der Artikel der gemeinsten Lebensbedürfnisse) liegt darin, daß [durch] das öffentliche Ausstellen von Waren, die von ganz allgemeinem, alltäglichem Gebrauche sind, [diese] nicht sowohl einem Individuum als solchem, sondern ihm als Allgemeinem, dem Publikum angeboten werden, dessen Recht, nicht betrogen zu werden, und die Untersuchung der Waren als ein gemeinsames Geschäft von einer öffentlichen Macht vertreten und besorgt werden kann. - Vornehmlich aber macht die Abhängigkeit großer Industriezweige von auswärtigen Umständen und entfernten Kombinationen, welche die an jene Sphären angewiesenen und gebundenen Individuen in ihrem Zusammenhang nicht übersehen können, eine allgemeine Vorsorge und Leitung notwendig.

Gegen die Freiheit des Gewerbes und Handels in der bürgerlichen Gesellschaft ist das andere Extrem die Versorgung sowie die Bestimmung der Arbeit aller durch öffentliche Veranstaltung, - wie etwa auch die alte Arbeit der Pyramiden und der anderen ungeheuren ägyptischen und asiatischen Werke, welche für öffentliche Zwecke ohne die Vermittlung der Arbeit des Einzelnen durch seine besondere Willkür und sein besonderes Interesse hervorgebracht wurden. Dieses Interesse ruft jene Freiheit gegen die höhere Regulierung an, bedarf aber, je mehr es blind in den selbstsüchtigen Zweck vertieft [ist], um so mehr einer solchen, um zum Allgemeinen zurückgeführt zu werden und um die gefährlichen Zuckungen und die Dauer des Zwischenraumes, in welchem sich die Kollisionen auf dem Wege bewußtloser Notwendigkeit ausgleichen sollen, abzukürzen und zu mildern.

Zusatz.
Die polizeiliche Aufsicht und Vorsorge hat den Zweck, das Individuum mit der allgemeinen Möglichkeit zu vermitteln, die zur Erreichung der individuellen Zecke vorhanden ist. Sie hat für Straßenbeleuchtung, Brückenbau, Taxation der täglichen Bedürfnisse sowie für die Gesundheit Sorge zu tragen. Hier sind nun zwei Hauptansichten herrschend. Die eine behauptet, daß der Polizei die Aufsicht über alles gebühre, die andere, daß die Polizei hier nichts zu bestimmen habe, indem jeder sich nach dem Bedürfnis des anderen richten werde. Der Einzelne muß freilich ein Recht haben, sich auf diese oder jene Weise sein Brot zu verdienen, aber auf der anderen Seite hat auch das Publikum ein Recht zu verlangen, daß das Nötige auf gehörige Weise geleistet werde. Beide Seiten sind zu befriedigen, und die Gewerbefreiheit darf nicht von der Art sein, daß das allgemeine Beste in Gefahr kommt.

§ 237

Wenn nun die Möglichkeit der Teilnahme an dem allgemeinen Vermögen für die Individuen vorhanden und durch die öffentliche Macht gesichert ist, so bleibt sie, ohnehin daß diese Sicherung unvollständig bleiben muß, noch von der subjektiven Seite den Zufälligkeiten unterworfen, und um so mehr, je mehr sie Bedingungen der Geschicklichkeit, Gesundheit, Kapital usw. voraussetzt.

§ 238

Zunächst ist die Familie das substantielle Ganze, dem die Vorsorge für diese besondere Seite des Individuums sowohl in Rücksicht der Mittel und Geschicklichkeiten, um aus dem allgemeinen Vermögen sich [etwas] erwerben zu können, als auch seiner Subsistenz und Versorgung im Falle eintretender Unfähigkeit angehört. Die bürgerliche Gesellschaft reißt aber das Individuum aus diesem Bande heraus, entfremdet dessen Glieder einander und anerkennt sie als selbständige Personen; sie substituiert ferner statt der äußeren unorganischen Natur und des väterlichen Bodens, in welchem der Einzelne seine Subsistenz hatte, den ihrigen und unterwirft das Bestehen der ganzen Familie selbst, der Abhängigkeit von ihr, der Zufälligkeit. So ist das Individuum Sohn der bürgerlichen Gesellschaft geworden, die ebensosehr Ansprüche an ihn, als er Rechte auf sie hat.

Zusatz.
Die Familie hat allerdings für das Brot der Einzelnen zu sorgen, aber sie ist in der bürgerlichen Gesellschaft ein Untergeordnetes und legt nur den Grund; sie ist nicht mehr von so umfassender Wirksamkeit. Die bürgerliche Gesellschaft ist vielmehr die ungeheure Macht, die den Menschen an sich reißt, von ihm fordert, daß er für sie arbeite und daß er alles durch sie sei und vermittels ihrer tue. Soll der Mensch so ein Glied der bürgerlichen Gesellschaft sein, so hat er ebenso Rechte und Ansprüche an sie wie er sie in der Familie hatte. Die bürgerliche Gesellschaft muß ihr Mitglied schützen, seine Rechte verteidigen, so wie der Einzelne den Rechten der bürgerlichen Gesellschaft verpflichtet ist.

§ 239

Sie hat in diesem Charakter der allgemeinen Familie die Pflicht und das Recht gegen die Willkür und Zufälligkeit der Eltern, auf die Erziehung, insofern sie sich auf die Fähigkeit, Mitglied der Gesellschaft zu werden, bezieht, vornehmlich wenn sie nicht von den Eltern selbst, sondern von anderen zu vollenden ist, Aufsicht und Einwirkung zu haben, - ingleichen, insofern gemeinsame Veranstaltungen dafür gemacht werden können, diese zu treffen.

Zusatz.
Die Grenze zwischen den Rechten der Eltern und der bürgerlichen Gesellschaft ist hier sehr schwer zu ziehen. Die Eltern meinen gewöhnlich in betreff auf Erziehung volle Freiheit zu haben und alles machen zu können, was sie nur mögen. Bei aller Öffentlichkeit der Erziehung kommt die Hauptopposition gewöhnlich von den Eltern her, und sie sind es, die über Lehrer und Anstalten schreien und reden, weil sich ihr Belieben gegen dieselben setzt. Trotzdem hat die Gesellschaft ein Recht, nach ihren geprüften Unsitten hierbei zu verfahren, die Eltern zu zwingen, ihre Kinder in die Schule zu schicken, ihnen die Pocken impfen zu lassen usw. Die Streitigkeiten, die in Frankreich zwischen der Forderung des freien Unterrichts, das heißt des Beliebens der Eltern, und der Aufsicht des Staates bestehen, gehören hierher.

§ 240

Gleicherweise hat sie die Pflicht und das Recht über die, welche durch Verschwendung die Sicherheit ihrer und ihrer Familie Subsistenz vernichten, [sie] in Vormundschaft zu nehmen und an ihrer Stelle den Zweck der Gesellschaft und den ihrigen auszuführen.

Zusatz.
In Athen war es Gesetz, daß jeder Bürger darüber Rechenschaft geben mußte, wovon er lebe, jetzt hat man die Ansicht, daß dies niemanden etwas angehe. Allerdings ist jedes Individuum einerseits für sich, andererseits aber ist es auch Mitglied im System der bürgerlichen Gesellschaft, und insofern jeder Mensch von ihr das Recht hat, die Subsistenz zu verlangen, muß sie ihn auch gegen sich selbst schützen. Es ist nicht allein das Verhungern, um was es zu tun ist, sondern der weitere Gesichtspunkt ist, daß kein Pöbel entstehen soll. Weil die bürgerliche Gesellschaft schuldig ist, die Individuen zu ernähren, hat sie auch das Recht, dieselben anzuhalten, für ihre Subsistenz zu sorgen.

§ 241

Aber ebenso als die Willkür können zufällige, physische und in den äußeren Verhältnissen (§ 200) liegende Umstände  Individuen zur Armut herunterbringen, einem Zustande, der ihnen die Bedürfnisse der bürgerlichen Gesellschaft läßt und der - indem sie ihnen zugleich die natürlichen Erwerbsmittel (§ 217) entzogen [hat] und das weitere Band der Familie als eines Stammes aufhebt (§ 181 ) - dagegen sie aller Vorteile der Gesellschaft, Erwerbsfähigkeit von Geschicklichkeiten und Bildung überhaupt, auch der Rechtspflege, Gesundheitssorge, selbst oft des Trostes der Religion usf. mehr oder weniger verlustig macht. Die allgemeine Macht übernimmt die Stelle der Familie bei den Armen, ebensosehr in Rücksicht ihres unmittelbaren Mangels als der Gesinnung der Arbeitsscheu, Bösartigkeit und der weiteren Laster, die aus solcher Lage und dem Gefühl ihres Unrechts entspringen.

§ 242

Das Subjektive der Armut und überhaupt der Not aller Art, der schon in seinem Naturkreise jedes Individuum ausgesetzt ist, erfordert auch eine subjektive Hilfe ebenso in Rücksicht der besonderen Umstände als des Gemüts und der Liebe. Hier ist der Ort, wo bei aller allgemeinen Veranstaltung die Moralität genug zu tun findet. Weil aber diese Hilfe für sich und in ihren Wirkungen von der Zufälligkeit abhängt, so geht das Streben der Gesellschaft dahin, in der Notdurft und ihrer Abhilfe das Allgemeine herauszufinden und zu veranstalten und jene Hilfe entbehrlicher zu machen.

Das Zufällige des Almosens, der Stiftungen, wie des Lampenbrennens bei Heiligenbildern usf., wird ergänzt durch öffentliche Armenanstalten, Krankenhäuser, Straßenbeleuchtung usw. Der Mildtätigkeit bleibt noch genug für sich zu tun übrig, und es ist eine falsche Ansicht, wenn sie der Besonderheit des Gemüts und der Zufälligkeit ihrer Gesinnung und Kenntnis diese Abhilfe der Not allein vorbehalten wissen will und sich durch die verpflichtenden allgemeinen Anordnungen und Gebote verletzt und gekränkt fühlt. Der öffentliche Zustand ist im Gegenteil für um so vollkommener zu achten, je weniger dem Individuum für sich nach seiner besonderen Meinung, in Vergleich mit dem, was auf allgemeine Weise veranstaltet ist, zu tun übrigbleibt.

§ 243

Wenn die bürgerliche Gesellschaft sich in ungehinderter Wirksamkeit befindet, so ist sie innerhalb ihrer selbst in fortschreitender Bevölkerung und Industrie begriffen. - Durch die Verallgemeinerung des Zusammenhangs der Menschen durch ihre Bedürfnisse und der Weisen, die Mittel für diese zu bereiten und herbeizubringen, vermehrt sich die Anhäufung der Reichtümer - denn aus dieser gedoppelten Allgemeinheit wird der größte Gewinn gezogen - auf der einen Seite, wie auf der andern Seite die Vereinzelung und Beschränktheit der besonderen Arbeit und damit die Abhängigkeit und Not der an diese Arbeit gebundenen Klasse, womit die Unfähigkeit der Empfindung und des Genusses der weiteren Freiheiten und besonders der geistigen Vorteile der bürgerlichen Gesellschaft zusammenhängt.

§ 244

Das Herabsinken einer großen Masse unter das Maß einer gewissen Subsistenzweise, die sich von selbst als die für ein Mitglied der Gesellschaft notwendige reguliert - und damit zum Verluste des Gefühls des Rechts, der Rechtlichkeit und der Ehre, durch eigene Tätigkeit und Arbeit zu bestehen -, bringt die Erzeugung des Pöbels hervor, die hinwiederum zugleich die größere Leichtigkeit, unverhältnismäßige Reichtümer in wenige Hände zu konzentrieren, mit sich führt.

Zusatz.
Die niedrigste Weise der Subsistenz, die des Pöbels, macht sich von selbst: dies Minimum ist jedoch bei verschiedenen Völkern sehr verschieden. In England glaubt auch der Ärmste sein Recht zu haben; dies ist etwas anderes, als womit in anderen Ländern die Armen zufrieden sind. Die Armut an sich macht keinen zum Pöbel: dieser wird erst bestimmt durch die mit der Armut sich verknüpfende Gesinnung, durch die innere Empörung gegen die Reichen, gegen die Gesellschaft, die Regierung usw.
Ferner ist damit verbunden, daß der Mensch, der auf die Zufälligkeit angewiesen ist, leichtsinnig und arbeitsscheu wird, wie z. B. die Lazzaronis in Neapel. Somit entsteht im Pöbel das Böse, daß er die Ehre nicht hat, seine Subsistenz durch seine Arbeit zu finden, und doch seine Subsistenz zu finden als sein Recht anspricht. Gegen die Natur kann kein Mensch ein Recht behaupten, aber im Zustande der Gesellschaft gewinnt der Mangel sogleich die Form eines Unrechts, was dieser oder jener Klasse angetan wird.
Die wichtige Frage, wie der Armut abzuhelfen sei, ist eine vorzüglich die modernen Gesellschaften bewegende und quälende.

§ 245

Wird der reicheren Klasse die direkte Last aufgelegt, oder es wären in anderem öffentlichen Eigentum (reichen Hospitälern, Stiftungen, Klöstern) die direkten Mittel vorhanden, die der Armut zugehende Masse auf dem Stande ihrer ordentlichen Lebensweise zu erhalten, so würde die Subsistenz der Bedürftigen gesichert, ohne durch die Arbeit vermittelt zu sein, was gegen das Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft und des Gefühls ihrer Individuen von ihrer Selbständigkeit und Ehre wäre; oder sie würde durch Arbeit (durch Gelegenheit dazu) vermittelt, so würde die Menge der Produktionen vermehrt, in deren Überfluß und dem Mangel der verhältnismäßigen selbst produktiven Konsumenten gerade das Übel besteht, das auf beide Weisen sich nur vergrößert. Es kommt hierin zum Vorschein, daß bei dem Übermaße des Reichtums die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist, d. h. an dem ihr eigentümlichen Vermögen nicht genug besitzt, dem Übermaße der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern.

Diese Erscheinungen lassen sich im großen an Englands Beispiel studieren, sowie näher die Erfolge, welche die Armentaxe, unermeßliche Stiftungen und ebenso unbegrenzte Privatwohltätigkeit, vor allem auch dabei das Aufheben der Korporationen gehabt haben. Als das direkteste Mittel hat sich daselbst (vornehmlich in Schottland) gegen Armut sowohl als insbesondere gegen die Abwerfung der Scham und Ehre, der subjektiven Basen der Gesellschaft, und gegen die Faulheit und Verschwendung usf., woraus der Pöbel hervorgeht, dies erprobt, die Armen ihrem Schicksal zu überlassen und sie auf den öffentlichen Bettel anzuweisen.

§ 246

Durch diese ihre Dialektik wird die bürgerliche Gesellschaft über sich hinausgetrieben, zunächst diese bestimmte Gesellschaft, um außer ihr in anderen Völkern, die ihr an den Mitteln, woran sie Überfluß hat, oder überhaupt an Kunstfleiß usf. nachstehen, Konsumenten und damit die nötigen Subsistenzmittel zu suchen.

§ 247

Wie für das Prinzip des Familienlebens die Erde, fester Grund und Boden, Bedingung ist, so ist für die Industrie das nach außen sie belebende natürliche Element das Meer. In der Sucht des Erwerbs, dadurch, daß sie ihn der Gefahr aussetzt, erhebt sie sich zugleich über ihn und versetzt das Festwerden an der Erdscholle und den begrenzten Kreisen des bürgerlichen Lebens, seine Genüsse und Begierden, mit dem Elemente der Flüssigkeit, der Gefahr und des Unterganges. So bringt sie ferner durch dies größte Medium der Verbindung entfernte Länder in die Beziehung des Verkehrs, eines den Vertrag einführenden rechtlichen Verhältnisses, in welchem Verkehr sich zugleich das größte Bildungsmittel und der Handel seine welthistorische Bedeutung findet.

Daß die Flüsse keine natürlichen Grenzen sind, für welche sie in neueren Zeiten haben sollen geltend gemacht werden, sondern sie und ebenso die Meere vielmehr die Menschen verbinden, daß es ein unrichtiger Gedanke ist, wenn Horaz sagt (Carmina I, 3):

... deus abscidit
Prudens Oceano dissociabili
Terras ...
88) ,

zeigen nicht nur die Bassins der Flüsse, die von einem Stamme oder Volke bewohnt werden, sondern auch z. B. die sonstigen Verhältnisse Griechenlands, Ioniens und Großgriechenlands, [der] Bretagne und Britanniens, Dänemarks und Norwegens, Schwedens, Finnlands, Livlands usf. - vornehmlich auch im Gegensatze des geringeren Zusammenhangs der Bewohner des Küstenlandes mit denen des inneren Landes. - Welches Bildungsmittel aber in dem Zusammenhange mit dem Meere liegt, dafür vergleiche man das Verhältnis der Nationen, in welchen der Kunstfleiß aufgeblüht ist, zum Meere mit denen, die sich die Schiffahrt untersagt [haben] und, wie die Ägypter, die Inder, in sich verdumpft und in den fürchterlichsten und schmählichsten Aberglauben versunken sind, - und wie alle großen, in sich strebenden Nationen sich zum Meere drängen.

§ 248

Dieser erweiterte Zusammenhang bietet auch das Mittel der Kolonisation, zu welcher - einer sporadischen oder systematischen - die ausgebildete bürgerliche Gesellschaft getrieben wird und wodurch sie teils einem Teil ihrer Bevölkerung in einem neuen Boden die Rückkehr zum Familienprinzip, teils sich selbst damit einen neuen Bedarf und Feld ihres Arbeitsfleißes verschafft.

Zusatz.
Die bürgerliche Gesellschaft wird dazu getrieben, Kolonien anzulegen. Die Zunahme der Bevölkerung hat schon für sich diese Wirkung; besonders aber entsteht eine Menge, die die Befriedigung ihrer Bedürfnisse nicht durch ihre Arbeit gewinnen kann, wenn die Produktion das Bedürfnis der Konsumtion übersteigt. Sporadische Kolonisation findet besonders in Deutschland statt.
Die Kolonisten ziehen nach Amerika, Rußland, bleiben ohne Zusammenhang mit ihrem Vaterlande und gewähren so diesem keinen Nutzen. Die zweite und ganz von der ersten verschiedene Kolonisation ist die systematische. Sie wird von dem Staate veranlaßt, mit dem Bewußtsein und der Regulierung der gehörigen Weise der Ausführung. Diese Art der Kolonisation ist vielfältig bei den Alten und namentlich bei den Griechen vorgekommen, bei denen harte Arbeit nicht die Sache des Bürgers war, dessen Tätigkeit vielmehr den öffentlichen Dingen sich zuwendete. Wenn nun die Bevölkerung so anwuchs, daß Not entstehen konnte, für sie zu sorgen, dann wurde die Jugend in eine neue Gegend geschickt, die teils besonders gewählt, teils dem Zufall des Findens überlassen war.
In den neueren Zeiten hat man den Kolonien nicht solche Rechte wie den Bewohnern des Mutterlandes zugestanden, und es sind Kriege und endlich Emanzipationen aus diesem Zustande hervorgegangen, wie die Geschichte der englischen und spanischen Kolonien zeigt. Die Befreiung der Kolonien erweist sich selbst als der größte Vorteil für den Mutterstaat, so wie die Freilassung der Sklaven als der größte Vorteil für den Herrn.

§ 249

Die polizeiliche Vorsorge verwirklicht und erhält zunächst das Allgemeine, welches in der Besonderheit der bürgerlichen Gesellschaft enthalten ist, als eine äußere Ordnung und Veranstaltung zum Schutz und Sicherheit der Massen von besonderen Zwecken und Interessen, als welche in diesem Allgemeinen ihr Bestehen haben, so wie sie als höhere Leitung Vorsorge für die Interessen (§ 246), die über diese Gesellschaft hinausführen, trägt. Indem nach der Idee die Besonderheit selbst dieses Allgemeine, das in ihren immanenten Interessen ist, zum Zweck und Gegenstand ihres Willens und ihrer Tätigkeit macht, so kehrt das Sittliche als ein Immanentes in die bürgerliche Gesellschaft zurück; dies macht die Bestimmung der Korporation aus.

 

88) " ... ein weiser Gott hat die Länder vom ungastlichen Meer getrennt ... "

 

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