§ 355
1. Das orientalische Reich
Dies erste Reich ist die vom patriarchalischen Naturganzen ausgehende, in sich ungetrennte, substantielle Weltanschauung, in der die weltliche Regierung Theokratie, der Herrscher auch Hoherpriester oder Gott, Staatsverfassung und Gesetzgebung zugleich Religion, so wie die religiösen und moralischen Gebote oder vielmehr Gebräuche ebenso Staats- und Rechtsgesetze sind. In der Pracht dieses Ganzen geht die individuelle Persönlichkeit rechtlos unter, die äußere Natur ist unmittelbar göttlich oder ein Schmuck des Gottes und die Geschichte der Wirklichkeit Poesie. Die nach den verschiedenen Seiten der Sitten, Regierung und des Staats hin sich entwickelnden Unterschiede werden, an der Stelle der Gesetze, bei einfacher Sitte schwerfällige, weitläufige, abergläubische Zeremonien, - Zufälligkeiten persönlicher Gewalt und willkürlichen Herrschens und die Gliederung in Stände eine natürliche Festigkeit von Kasten. Der orientalische Staat ist daher nur lebendig in seiner Bewegung, welche, da in ihm selbst nichts stet und, was fest ist, versteinert ist, nach außen geht, ein elementarisches Toben und Verwüsten wird. Die innerliche Ruhe ist ein Privatleben und Versinken in Schwäche und Ermattung.
Das Moment der noch substantiellen, natürlichen Geistigkeit in der Staatsbildung, das als Form in der Geschichte jedes Staats den absoluten Ausgangspunkt macht, ist an den besonderen Staaten geschichtlich zugleich mit tiefem Sinn und mit Gelehrsamkeit in der Schrift Vom Untergange der Naturstaaten, Berlin 1812 (vom Herrn Dr. Stuhr), hervorgehoben und nachgewiesen und damit der vernünftigen Betrachtung der Geschichte der Verfassung und der Geschichte überhaupt der Weg gebahnt. Das Prinzip der Subjektivität und selbstbewußten Freiheit ist dort gleichfalls in der germanischen Nation aufgezeigt, jedoch, indem die Abhandlung nur bis zum Untergang der Naturstaaten geht, auch nur bis dahin geführt, wo es teils als unruhige Beweglichkeit, menschliche Willkür und Verderben, teils in seiner besonderen Gestalt als Gemüt erscheint und sich nicht bis zur Objektivität der selbstbewußten Substantialität, zu organischer Gesetzlichkeit, entwickelt hat.
§ 356
2. Das griechische Reich
Dieses hat jene substantielle Einheit des Endlichen und Unendlichen, aber nur zur mysteriösen, in dumpfe Erinnerung, in Höhlen und in Bilder der Tradition zurückgedrängten Grundlage, welche aus dem sich unterscheidenden Geiste zur individuellen Geistigkeit und in den Tag des Wissens herausgeboren, zur Schönheit und zur freien und heiteren Sittlichkeit gemäßigt und verklärt ist. In dieser Bestimmung geht somit das Prinzip persönlicher Individualität sich auf, noch als nicht in sich selbst befangen, sondern in seiner idealen Einheit gehalten; - teils zerfällt das Ganze darum in einen Kreis besonderer Volksgeister, teils ist einerseits die letzte Willensentschließung noch nicht in die Subjektivität des für sich seienden Selbstbewußtseins, sondern in eine Macht, die höher und außerhalb desselben sei, gelegt (vgl. § 279 Anm.), und andererseits ist die dem Bedürfnisse angehörige Besonderheit noch nicht in die Freiheit aufgenommen, sondern an einen Sklavenstand ausgeschlossen.
§ 357
3. Das römische Reich
In diesem Reiche vollbringt sich die Unterscheidung zur unendlichen Zerreißung des sittlichen Lebens in die Extreme persönlichen privaten Selbstbewußtseins und abstrakter Allgemeinheit. Die Entgegensetzung, ausgegangen von der substantiellen Anschauung einer Aristokratie gegen das Prinzip freier Persönlichkeit in demokratischer Form, entwickelt sich nach jener Seite zum Aberglauben und zur Behauptung kalter, habsüchtiger Gewalt, nach dieser zur Verdorbenheit eines Pöbels, und die Auflösung des Ganzen endigt sich in das allgemeine Unglück und den Tod des sittlichen Lebens, worin die Völkerindividualitäten in der Einheit eines Pantheons ersterben, alle Einzelnen zu Privatpersonen und zu Gleichen mit formellem Rechte herabsinken, welche hiermit nur eine abstrakte, ins Ungeheure sich treibende Willkür zusammenhält.
§ 358
4. Das germanische Reich
Aus diesem Verluste seiner selbst und seiner Welt und dem unendlichen Schmerz desselben, als dessen Volk das israelitische bereitgehalten war, erfaßt der in sich zurückgedrängte Geist in dem Extreme seiner absoluten Negativität, dem an und für sich seienden Wendepunkt, die unendliche Positivität dieses seines Innern, das Prinzip der Einheit der göttlichen und menschlichen Natur, die Versöhnung als der innerhalb des Selbstbewußtseins und der Subjektivität erschienenen objektiven Wahrheit und Freiheit, welche dem nordischen Prinzip der germanischen Völker zu vollführen übertragen wird.
§ 359
Die Innerlichkeit des Prinzips, als die noch abstrakte, in Empfindung als Glaube, Liebe und Hoffnung existierende Versöhnung und Lösung alles Gegensatzes, entfaltet ihren Inhalt, ihn zur Wirklichkeit und selbstbewußten Vernünftigkeit zu erheben, zu einem vom Gemüte, der Treue und Genossenschaft Freier ausgehenden weltlichen Reiche, das in dieser seiner Subjektivität ebenso ein Reich der für sich seienden rohen Willkür und der Barbarei der Sitten ist - gegenüber einer jenseitigen Welt, einem intellektuellen Reiche, dessen Inhalt wohl jene Wahrheit seines Geistes, aber als noch ungedacht in die Barbarei der Vorstellung gehüllt ist und, als geistige Macht über das wirkliche Gemüt, sich als eine unfreie fürchterliche Gewalt gegen dasselbe verhält.
§ 360
Indem in dem harten Kampfe dieser im Unterschiede, der hier seine absolute Entgegensetzung gewonnen, stehenden und zugleich in einer Einheit und Idee wurzelnden Reiche das Geistliche die Existenz seines Himmels zum irdischen Diesseits und zur gemeinen Weltlichkeit, in der Wirklichkeit und in der Vorstellung, degradiert, das Weltliche dagegen sein abstraktes Fürsichsein zum Gedanken und dem Prinzipe vernünftigen Seins und Wissens, zur Vernünftigkeit des Rechts und Gesetzes hinaufbildet, ist an sich der Gegensatz zur marklosen Gestalt geschwunden; die Gegenwart hat ihre Barbarei und unrechtliche Willkür und die Wahrheit hat ihr Jenseits und ihre zufällige Gewalt abgestreift, so daß die wahrhafte Versöhnung objektiv geworden, welche den Staat zum Bilde und zur Wirklichkeit der Vernunft entfaltet, worin das Selbstbewußtsein die Wirklichkeit seines substantiellen Wissens und Wollens in organischer Entwicklung, wie in der Religion das Gefühl und die Vorstellung dieser seiner Wahrheit als idealer Wesenheit, in der Wissenschaft aber die freie begriffene Erkenntnis dieser Wahrheit als einer und derselben in ihren sich ergänzenden Manifestationen, dem Staate, der Natur und der ideellen Welt, findet.
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