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Georg
Wilhelm Friedrich
Hegel
Grundlinien der Philosophie des Rechts

Übersicht

Vorrede
Einleitung
Einteilung

Erster Teil. Das abstrakte Recht

Erster Abschnitt. Das Eigentum
A. Besitznahme
B. Der Gebrauch der Sache
C. Entäußerung des Eigentums
 Übergang vom Eigentum zum Vertrage
Zweiter Abschnitt. Der Vertrag
Dritter Abschnitt. Das Unrecht
A. Unbefangenes Unrecht
B. Betrug
C. Zwang und Verbrechen
Übergang vom Recht in Moralität

Zweiter Teil. Die Moralität
Erster Abschnitt. Der Vorsatz und die Schuld
Zweiter Abschnitt. Die Absicht und das Wohl
Dritter Abschnitt. Das Gute und das Gewissen
Übergang von der Moralität in Sittlichkeit

Dritter Teil. Die Sittlichkeit
Erster Abschnitt. Die Familie
A. Die Ehe
B. Das Vermögen der Familie
C. Die Erziehung der Kinder und die Auflösung der Familie
Übergang der Familie in die bürgerliche Gesellschaft
Zweiter Abschnitt. Die bürgerliche Gesellschaft
A. Das System der Bedürfnisse
a. Die Art des Bedürfnisses und der Befriedigung
c. Das Vermögen
B. Die Rechtspflege
a. Das Recht als Gesetz
b. Das Dasein des Gesetzes
c. Das Gericht
C. Die Polizei und Korporation
a. Die Polizei
b. Die Korporation
Dritter Abschnitt. Der Staat
A. Das innere Staatsrecht
I. Innere Verfassung für sich
a. Die fürstliche Gewalt
b. Die Regierungsgewalt
c. Die gesetzgebende Gewalt
II. Die Souveränität gegen außen
B. Das äußere Staatsrecht
C. Die Weltgeschichte
 Vier Prinzipien
 

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 HEGEL
 Quell- und Volltexte

Quellen:

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 7, Frankfurt a. M. 1979, S. 11.

Erstdruck: Berlin (Nicolai) 1820, vordatiert auf 1821.

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a. Das Recht als Gesetz

§ 211

Was an sich Recht ist, ist in seinem objektiven Dasein gesetzt, d. i. durch den Gedanken für das Bewußtsein bestimmt und als das, was Recht ist und gilt, bekannt, das Gesetz; und das Recht ist durch diese Bestimmung positives Recht überhaupt.

Etwas als Allgemeines setzen - d. i. es als Allgemeines zum Bewußtsein bringen - ist bekanntlich denken (vgl. oben § 13 Anm. und § 21 Anm.); indem es so den Inhalt auf seine einfachste Form zurückbringt, gibt es ihm seine letzte Bestimmtheit.
Was Recht ist, erhält erst damit, daß es zum Gesetze wird, nicht nur die Form seiner Allgemeinheit, sondern seine wahrhafte Bestimmtheit. Es ist darum bei der Vorstellung des Gesetzgebens nicht bloß das eine Moment vor sich zu haben, daß dadurch etwas als die für alle gültige Regel des Benehmens ausgesprochen werde; sondern das innere wesentliche Moment ist vor diesem anderen die Erkenntnis des Inhalts in seiner bestimmten Allgemeinheit. Gewohnheitsrechte selbst - da nur die Tiere ihr Gesetz als Instinkt haben, nur die Menschen aber es sind, die es als Gewohnheit haben - enthalten das Moment, als Gedanken zu sein und gewußt zu werden.
Ihr Unterschied von Gesetzen besteht nur darin, daß sie auf eine subjektive und zufällige Weise gewußt werden, daher für sich unbestimmter [sind] und die Allgemeinheit des Gedankens getrübter, außerdem die Kenntnis des Rechts nach dieser und jener Seite und überhaupt ein zufälliges Eigentum Weniger ist. Daß sie durch ihre Form, als Gewohnheiten zu sein, den Vorzug haben sollen, ins Leben übergegangen zu sein (man spricht heutigentages übrigens gerade da am meisten vom Leben und vom Übergehen ins Leben, wo man in dem totesten Stoffe und in den totesten Gedanken versiert), ist eine Täuschung, da die geltenden Gesetze einer Nation dadurch, daß sie geschrieben und gesammelt sind, nicht aufhören, ihre Gewohnheiten zu sein. Wenn die Gewohnheitsrechte dazu kommen, gesammelt und zusammengestellt zu werden, was bei einem nur zu einiger Bildung gediehenen Volke bald geschehen muß, so ist dann diese Sammlung das Gesetzbuch, das sich freilich, weil es bloße Sammlung ist, durch seine Unförmigkeit, Unbestimmtheit und Lückenhaftigkeit auszeichnen wird. Es wird sich vornehmlich von einem eigentlich so genannten Gesetzbuche dadurch unterscheiden, daß dieses die Rechtsprinzipien in ihrer Allgemeinheit und damit in ihrer Bestimmtheit denkend auffaßt und ausspricht. Englands Landrecht oder gemeines Recht ist bekanntlich in Statuten (förmlichen Gesetzen) und in einem sogenannten ungeschriebenen Gesetze enthalten; dieses ungeschriebene Gesetz ist übrigens ebensogut geschrieben, und dessen Kenntnis kann und muß durch Lesen allein (der vielen Quartanten, die es ausfüllt) erworben werden.
Welche ungeheure Verwirrung aber auch in der dortigen Rechtspflege sowohl als in der Sache liegt, schildern die Kenner derselben. Insbesondere bemerken sie den Umstand, daß, da dies ungeschriebene Gesetz in den Dezisionen der Gerichtshöfe und Richter enthalten ist, die Richter damit fortdauernd die Gesetzgeber machen, daß sie auf die Autorität ihrer Vorgänger, als die nichts getan als das ungeschriebene Gesetz ausgesprochen haben, ebenso angewiesen sind als nicht angewiesen sind, da sie selbst das ungeschriebene Gesetz in sich haben und daraus das Recht haben, über die vorhergegangenen Entscheidungen zu urteilen, ob sie demselben angemessen sind oder nicht. - Gegen eine ähnliche Verwirrung, die in der späteren römischen Rechtspflege aus den Autoritäten aller der verschiedenen berühmten Juriskonsulten entstehen konnte, wurde von einem Kaiser das sinnreiche Auskunftsmittel getroffen, das den Namen Zitiergesetz führt und eine Art von kollegialischer Einrichtung unter den längst verstorbenen Rechtsgelehrten, mit Mehrheit der Stimmen und einem Präsidenten, einführte (s. Herrn Hugos Röm. Rechtsgeschichte [1799] § 354).
- Einer gebildeten Nation oder dem juristischen Stande in derselben die Fähigkeit abzusprechen, ein Gesetzbuch zu machen
86) - da es nicht darum zu tun sein kann, ein System ihrem Inhalte nach neuer Gesetze zu machen, sondern den vorhandenen gesetzlichen Inhalt in seiner bestimmten Allgemeinheit zu erkennen, d. i. ihn denkend zu fassen, mit Hinzufügung der Anwendung aufs Besondere -, wäre einer der größten Schimpfe, der einer Nation oder jenem Stande angetan werden könnte.

Zusatz.
Die Sonne wie die Planeten haben auch ihre Gesetze, aber sie wissen sie nicht; Barbaren werden durch Triebe, Sitten, Gefühle regiert, aber sie haben kein Bewußtsein davon. Dadurch, daß das Recht gesetzt und gewußt ist, fällt alles Zufällige der Empfindung, des Meinens, die Form der Rache, des Mitleids, der Eigensucht fort, und so erlangt das Recht erst seine wahrhafte Bestimmtheit und kommt zu seiner Ehre. Erst durch die Zucht des Auffassens wird es der Allgemeinheit fähig. Daß es bei der Anwendung der Gesetze Kollisionen gibt, wo der Verstand des Richters seinen Platz hat, ist durchaus notwendig, weil sonst eben die Ausführung etwas durchaus Maschinenmäßiges würde. Wenn man darauf gekommen ist, die Kollisionen dadurch abzuschaffen, daß man vieles dem Gutdünken der Richter überlassen will, so ist ein solcher Ausweg weit schlechter, weil auch die Kollision dem Gedanken, dem denkenden Bewußtsein und seiner Dialektik angehört, die bloße Entscheidung durch den Richter aber Willkür wäre.
Man führt in der Regel für das Gewohnheitsrecht an, daß es lebendig sei, aber diese Lebendigkeit, d. h. die Identität der Bestimmung mit dem Subjekte, macht das Wesen der Sache noch nicht aus; das Recht muß denkend gewußt werden, es muß ein System in sich selbst sein, und nur als solches kann es bei gebildeten Nationen gelten. Wenn man in der neuesten Zeit den Völkern den Beruf zur Gesetzgebung abgesprochen hat, so ist dies nicht allein ein Schimpf, sondern enthält das Abgeschmackte, daß bei der Unendlichen Menge vorhandener Gesetze nicht einmal den Einzelnen die Geschicklichkeit zugetraut wird, dieselben in ein konsequentes System zu bringen, während gerade das Systematisieren, d. h. das Erheben ins Allgemeine, der unendliche Drang der Zeit ist. Ebenso hat man Sammlungen von Dezisionen, wie sie sich im Corpus iuris vorfinden, für vorzüglicher als ein im allgemeinsten Sinne ausgearbeitetes Gesetzbuche gehalten, weil in solchen Dezisionen immer noch eine gewisse Besonderheit und eine geschichtliche Erinnerung festgehalten wird, von der man nicht lassen will. Wie arg solche Sammlungen sind, zeigt zur Genüge die Praxis des englischen Rechts.

§ 212

In dieser Identität des Ansichseins und des Gesetztseins hat nur das als Recht Verbindlichkeit, was Gesetz ist. Indem das Gesetztsein die Seite des Daseins ausmacht, in der auch das Zufällige des Eigenwillens und anderer Besonderheit eintreten kann, so kann das, was Gesetz ist, in seinem Inhalte noch von dem verschieden sein, was an sich Recht ist.

Im positiven Rechte ist daher das, was gesetzmäßig ist, die Quelle der Erkenntnis dessen, was Recht ist, oder eigentlich, was Rechtens ist; - die positive Rechtswissenschaft ist insofern eine historische Wissenschaft, welche die Autorität zu ihrem Prinzip hat. Was noch übriges geschehen kann, ist Sache des Verstandes und betrifft die äußere Ordnung, Zusammenstellung, Konsequenz, weitere Anwendung u. dgl. Wenn der Verstand sich auf die Natur der Sache selbst einläßt, so zeigen die Theorien, z. B. des Kriminalrechts, was er mit seinem Räsonnement aus Gründen anrichtet.
- Indem die positive Wissenschaft einerseits nicht nur das Recht, sondern auch die notwendige Pflicht hat, sowohl die historischen Fortgänge als die Anwendungen und Zerspaltungen der gegebenen Rechtsbestimmungen in alle Einzelheiten aus ihren positiven Datis zu deduzieren und ihre Konsequenz zu zeigen, so darf sie auf der andern Seite sich wenigstens nicht absolut verwundern, wenn sie es auch als eine Querfrage für ihre Beschäftigung ansieht, wenn nun gefragt wird, ob denn nach allen diesen Beweisen eine Rechtsbestimmung vernünftig ist. - Vgl. über das Verstehen § 3 Anm.

§ 213

Das Recht, indem es in das Dasein zunächst in der Form des Gesetztseins tritt, tritt auch dem Inhalte nach als Anwendung in die Beziehung auf den Stoff der in der bürgerlichen Gesellschaft ins Unendliche sich vereinzelnden und verwickelnden Verhältnisse und Arten des Eigentums und der Verträge, - ferner der auf Gemüt, Liebe und Zutrauen beruhenden sittlichen Verhältnisse, jedoch dieser nur, insofern sie die Seite des abstrakten Rechts enthalten (§ 159); die moralische Seite und moralischen Gebote, als welche den Willen nach seiner eigensten Subjektivität und Besonderheit betreffen, können nicht Gegenstand der positiven Gesetzgebung sein. Weiteren Stoff liefern die aus der Rechtspflege selbst, aus dem Staat usf. fließenden Rechte und Pflichten.

Zusatz.
An den höheren Verhältnissen der Ehe, Liebe, Religion, des Staats können nur die Seiten Gegenstand der Gesetzgebung werden, die ihrer Natur nach fähig sind, die Äußerlichkeit an sich zu haben. Indessen macht hierbei die Gesetzgebung verschiedener Völker einen großen Unterschied. Bei den Chinesen ist es z. B. Staatsgesetz, daß der Mann seine erste Frau mehr lieben soll als die anderen Weiber, die er hat. Wird er überführt, das Gegenteil getan zu haben, so bestraft man ihn mit Prügeln.
Ebenso finden sich in älteren Gesetzgebungen viel Vorschriften über Treue und Redlichkeit, die der Natur des Gesetzes unangemessen sind, weil sie ganz in das Innerliche fallen. Nur beim Eide, wo die Dinge dem Gewissen anheimgestellt sind, muß Redlichkeit und Treue als Substantielles berücksichtigt werden.

§ 214

Außer der Anwendung auf das Besondere schließt aber das Gesetztsein des Rechts die Anwendbarkeit auf den einzelnen Fall in sich. Damit tritt es in die Sphäre des durch den Begriff unbestimmten Quantitativen (des Quantitativen für sich oder als Bestimmung des Werts bei Tausch eines Qualitativen gegen ein anderes Qualitatives). Die Begriffsbestimmtheit gibt nur eine allgemeine Grenze, innerhalb deren noch ein Hin- und Hergehen stattfindet. Dieses muß aber zum Behuf der Verwirklichung abgebrochen werden, womit eine innerhalb jener Grenze zufällige und willkürliche Entscheidung eintritt.

In dieser Zuspitzung des Allgemeinen, nicht nur zum Besonderen, sondern zur Vereinzelung, d. i. zur unmittelbaren Anwendung, ist es vornehmlich, wo das rein Positive der Gesetze liegt. Es läßt sich nicht vernünftig bestimmen noch durch die Anwendung einer aus dem Begriffe herkommenden Bestimmtheit entscheiden, ob für ein Vergehen eine Leibesstrafe von vierzig Streichen oder von vierzig weniger eins, noch ob eine Geldstrafe von fünf Talern oder aber auch von vier Talern und dreiundzwanzig usf. Groschen, noch ob eine Gefängnisstrafe von einem Jahre oder von dreihundertvierundsechszig usf. [Tagen] oder von einem Jahre und einem, zwei oder drei Tagen das Gerechte sei. Und doch ist schon ein Streich zuviel, ein Taler oder ein Groschen, eine Woche, ein Tag Gefängnis zuviel oder zuwenig eine Ungerechtigkeit.
- Die Vernunft ist es selbst, welche anerkennt, daß die Zufälligkeit, der Widerspruch und Schein ihre, aber beschränkte Sphäre und Recht hat und sich nicht bemüht, dergleichen Widersprüche ins Gleiche und Gerechte zu bringen; hier ist allein noch das Interesse der Verwirklichung, das Interesse, daß überhaupt bestimmt und entschieden sei, es sei, auf welche Weise es
(innerhalb einer Grenze) wolle, vorhanden. Dieses Entscheiden gehört der formellen Gewißheit seiner selbst, der abstrakten Subjektivität an, welche sich ganz nur daran halten mag, daß sie, innerhalb jener Grenze, nur abbreche und festsetze, damit festgesetzt sei, - oder auch an solche Bestimmungsgründe, wie eine runde Zahl ist, oder als die Zahl Vierzig weniger Eins enthalten mag.
- Daß das Gesetz etwa nicht diese letzte Bestimmtheit, welche die Wirklichkeit erfordert, festsetzt, sondern sie dem Richter zu entscheiden überläßt und ihn nur durch ein Minimum und Maximum beschränkt, tut nichts zur Sache, denn dies Minimum und Maximum ist jedes selbst eine solche runde Zahl und hebt es nicht auf, daß von dem Richter alsdann eine solche endliche, rein positive Bestimmung gefaßt werde, sondern gesteht es demselben, wie notwendig, zu.

Zusatz.
Es ist wesentlich eine Seite an den Gesetzen und der Rechtspflege, die eine Zufälligkeit enthält und die darin liegt, daß das Gesetz eine allgemeine Bestimmung ist, die auf den einzelnen Fall angewandt werden soll. Wollte man sich gegen diese Zufälligkeit erklären, so würde man eine Abstraktion aussprechen. Das Quantitative einer Strafe kann z. B. keiner Begriffsbestimmung adäquat gemacht werden, und was auch entschieden wird, ist nach dieser Seite zu immer eine Willkür. Diese Zufälligkeit aber ist selbst notwendig; und wenn man daraus etwa gegen ein Gesetzbuch überhaupt argumentiert, daß es nicht vollkommen sei, so übersieht man eben die Seite, woran eine Vollendung nicht zu erreichen ist und die daher genommen werden muß, wie sie liegt.

 

86) Anspielung auf Friedrich Karl von Savignys Schrift Vom Berufe unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Heidelberg 1814

 

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